V-e-r-r-ü-c-k-t. Die Sache mit den Synchronizitäten ist einfach zu verrückt.
Synchronizitäten, so nennt die Kreativitäts-Expertin Julia Cameron dieses Phänomen, das eintritt, wenn man sich einem kreativen Prozess öffnet. Sobald man sich mit einem bestimmten Thema befasst, kommt es plötzlich von allen Seiten auf einen zu. Es begegnet einem auf Postkarten, Plakaten, in Büchern, in Gesprächen – in unglaublicher Dichte.
Und mir geht es gerade mit dem Thema „Schreiben über Brüste“ so.
Ich lese seit neuestem mit Begeisterung die Notatka von Oliwia hier auf Substack. Und in einem ihrer Beiträge heißt es:
„Ein Treffen mit einer lieben Person in Göttingen und unsere Gespräche über unsere Brüste, über Therapie, über Sexological Body Work. Darüber, dass ich viel zu selten über meine Brüste spreche und nie darüber schreibe. Dass ich mittlerweile über alle Körperteile mit jeder Person sprechen kann, aber nie über meine Brüste.“
Ich sitze da und lese und schüttele den Kopf und grinse. Habe ich nicht gerade gestern das Wort „Brüste“ in meinem Text gehabt, den ich auf Substack posten wollte? Und habe ich mich nicht dafür entschieden, genau diese Passage wieder herauszunehmen? Ich kann mich überhaupt nur an drei Texte erinnern, in denen ich über meine eigenen Brüste geschrieben habe. Auch den zweiten Text, in dem meine Brüste vorkamen, habe ich nie gepostet. Ich schrieb ihn vor zwei Jahren. Er fühlte sich sehr verletzlich an. War es wegen der Brüste? Und dann, vor einigen Jahren, ein Beitrag auf Instagram dazu, der sehr positiv aufgenommen wurde. Und doch löschte ich ihn. Weil ich jedes Mal, wenn ich meinen Feed aufrief und ihn sah, dachte: “Oh nein. Das fühlt sich zu verletzlich an. Die Sache mit den Brüsten.”
Gott, je öfter ich das Wort gerade benutze, umso seltsamer wird es. Es liegt in meinem Mund wie ein Stück Fleisch, auf dem man so lange herumgekaut hat, dass es zu einer unschluckbaren Masse geworden ist. Gummiartig und seltsam fremd klebt es auf der Zunge. B-R-Ü-S-T-E. Noch schlimmer: „MEINE BRÜSTE“. Diese Wortkombination verursacht mir sofort ein Gefühl von Scham. Schlimm, eigentlich.
Es ist komisch, über die eigenen Brüste zu schreiben. Ich schreibe über Augen, Arme, Haare, Falten, sogar meinen Darm. Aber nie über meine Brüste. Dabei ist es ein Körperteil, der mich sehr beschäftigt, seit es ihn gibt. Genau genommen schon seit davor.
Auch wenn mich die Art und Weise, wie sie in mein Leben kamen, zu Tode erschreckte. Meine ungefähr gleichaltrige Stiefschwester und ich bemerkten eines Tages, dass meine eine Brustwarze größer war als die andere. Im festen Glauben, ich hätte Krebs, gingen wir zu meinem Vater und ich zog meinen Schlafanzug hoch. Er lächelte und beruhigte uns. Ich weiß nicht, wie alt wir da waren. Das muss früh gewesen sein. 9 oder 10 vielleicht? Lange bevor wir eine Vorstellung von Sexualität und den Veränderungen pubertierender Körper hatten.
Als Teenager fieberte ich ihrem Wachstum dann entgegen wie einer Auszeichnung. Ausreichend groß sollten sie werden. Unbedingt. Am Ende wurden sie größer als mir lieb war. Und ich begann, darunter zu leiden.
Ich wollte feste, runde Brüste und die Mädchenzeitschriften der 00-er Jahre bewiesen es mir mit dem unsäglichen „Bleistift-Test“: Meine Brüste hingen zu stark. Furchtbar, wie einen so etwas fertig macht als junges Mädchen. Redakteur*innen, die sowas veröffentlichten, wussten es nicht besser, aber es ist ein Verbrechen am Selbstbewusstsein junger Menschen.
Nachdem ich sie also proportional zu groß für meinen Körper fand und dafür unzählige Kommentare von Männern wie Frauen kassierte, begann ich, sie zu verstecken. Lange Jahre schlief ich sogar mit BH, weil ich ihren Anblick nicht ertragen konnte. Kein Kleid, kein Oberteil schien richtig zu sitzen. War es an den Armen richtig, passten die Brüste nicht hinein. Passten die Brüste hinein, hing der Rest schlabbrig an mir herunter. Eine Verkäuferin in einem Wäschefachgeschäft sagte zu meinem 20-Jährigen Ich: „Na, die werden sie wohl mal operieren lassen müssen.“ Ohne Worte, diese pädagogische Glanzleistung. Dabei war ich gezwungen, diese immer viel zu leeren, viel zu stillen Fachgeschäfte aufzusuchen, in denen die Verkäuferinnen mit in die Kabine kamen. Denn vor dem Siegeszug der Online-Shops hatte ich keine andere Wahl: In normalen Kaufhäusern oder gar bei H&M, wo meine Freundinnen ihre Unterwäsche kauften, gab es NICHTS in meiner Größe. Die Kombination aus schmalen Rippen und großen Brüsten war nicht vorgesehen. Nicht rentabel. In meinen Zwanzigern wurde das Angebot etwas diverser und ich shoppte öfter bei Kaufhof, BHs für 50 Euro aufwärts. Dort gab es eine Marke, die Unterbrustbänder ab 65 cm führten, mit großen Cups. Sie hieß: „unusal you“. Ungewöhnliches Du.
Ich wollte nicht ungewöhnlich sein. Ich wollte normal sein. Ich hätte alles gegeben für 75 B. So gingen die Jahre dahin und mein Brüste waren für mich Fremdkörper. Selbst das begeisterte und liebevolle Feedback meiner Partner konnte daran nichts ändern. Sie waren nicht „so, wie sie sein sollten“. Wie die Schönheitsideale der Welt sie als „richtig“ beschrieben. Oft träumte ich mich sogar in die Zeit zurück, in der ich keine Brüste hatte. In der ich herumspringen und laufen konnte, ohne, dass etwas schmerzte.
In den letzten Jahren habe ich nach und nach etwas mehr Frieden mit ihnen geschlossen. Dabei geholfen haben mir vor allem Gespräche mit Freundinnen, die ähnliche Komplexe hatten. Und ähnliche Brüste. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem meine Freundin L und ich den ganzen Tag lang ohne BH herumliefen. Wir blieben bei ihr Zuhause und gewöhnten uns an das Gefühl. Daran, dass nicht mehr alles hochgeschnallt und eingepfercht sein musste. Daran, dass jemand anderes auch so aussah wie man selbst. Dass die Brüste vielleicht eine Etage tiefer saßen, als man es einer Zeichnung aus dem Anatomiebuch entnehmen würde, aber dass sie okay waren.
Heute finde ich sie an manchen Tagen sogar schön. Finde, dass sie sich gut anfühlen. Oft tun sie aber auch einfach nur weh, in manchen Zyklen vom Eisprung bis zu Periode. Dann könnte ich jaulen, wenn ich jemanden zu fest umarme. Meine Brüste und ich. Keine unbeschwerte Beziehung. Aber irgendwie, verzeiht mir den flachen Wortwitz, hängen wir aneinander.
Und zum Schluss: Der zensierte Text von 2021, in dem ich über Social Media schrieb, über fehlende Einnahmen und das Gefühl, nicht genug Nahrung zu haben und zu bieten. Ich finde, er verdient es, zur Feier des Tages, aus dem Archiv befreit zu werden:
Ich bin verzweifelt, plötzlich, es ist PMS, aber nicht nur. Ich fühle mich leer, ich bin ausgesaugt, ich kann nicht jeden Tag relevanten Content liefern, ich kann es nicht. Ich bin nur ich, nur ein Mensch, kein Roboter. Das Tempo ist so irrsinnig gestört auf Social Media, es macht mich platt, es lässt mich ausgesaugt und ausgenuckelt zurück, ich bin eine Stillbrust, ich bin eine Pampelmuse, an deren Schale man mit Löffeln gekratzt hat, ich spüre es an meiner Schale schaben, ich höre es in meinen Ohren, das Kratzen, das letzte-Reste-Kratzen, das bis -auf-den letzten-Tropfen-Saft-Auspressen, es wird zu allem, was da ist, ein allumfassendes Schaben und Kratzen und Scharren. Ich spüre es zwischen den Worten, ich spüre es zwischen den Zähnen, mein Fruchtfleisch ist auf Grund gelaufen, es ist keine Feuchtigkeit mehr darin. Nur Hass, nur Widerstand, nur Leere gegen das Große, das Ganze, das System, nur Leere, nur Hass gegen die Wucht, mit der Geld verdient werden will. Geld, Geld, Geld, es fließt aus meinen leergepumpten Brüsten, es fließt aus meinen leergedachten Hirn, der Hunger nach Geld, der Hunger an sich, die Supermarktbelege und ihre Summen, die bezahlt werden wollen. Da will Arbeit herangeschafft werden, wenn du selbstständig bist, da ist keine Arbeit da, da wartet keine Arbeit. Arbeit muss sich ausgedacht werden, Arbeit muss gesucht werden, für Arbeit musst du arbeiten. Das Leben ist kein Zuckerschlecken, sagten sie, weisst du denn das nicht? Und du quetschst weiter, du presst weiter, du suchst weiter, du gibst weiter, du fließt weiter, du schabst an deinen Schalen, an ihren Rändern, in deiner Mitte, an deinem Leiden.
PS: Weil Nachfragen kommen – Auszüge aus meinen Substack-Posts darfst du gerne per Screenshot, zum Beispiel auf Instagram, teilen. Wenn dich etwas inspiriert und du es teilen möchtest, ist das doch das schönste Kompliment für meine Arbeit. Ich freue mich immer wie ein Keks, wenn du mich taggst und ich sehe, dass die Hinterhofgedanken weitergetragen werden.
Uff, ein ewig leidiges Thema, ja. Ich habe auch einen Körper, der bei der Normsetzung von BH-Größen eher keine Beachtung gefunden hat wie mir scheint und nachdem ich nun jahrelang irgendwie mit Sport-BHs improvisiert habe, habe ich mir neulich mal eine Beratung und dann für viel Geld zwei neue Teile gegönnt, die zumindest besser sitzen. Das offene Gespräch dazu fehlt mir auch, schön dass auf dich Verlass ist und du solchen Themen früher oder später die Sichtbarkeit einräumst, die sie verdienen. 🧡
Und nun wieder: auf den Punkt getroffen. Das Thema der Brüste, die zu tief sitzen und zu unterschiedlich gross sind ..... big Thema auch bei mir.