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Wie Frauenzeitschriften mich als Teenager vermurkst haben

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Wie Frauenzeitschriften mich als Teenager vermurkst haben

Und welche toxischen Botschaften sich bis heute halten

Kea von Garnier
Feb 6, 2023
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Ich lese keine Frauenzeitschriften mehr. Diese toxische Mischung aus „sei du selbst“, aber „kaufe Produkte XYZ, um noch gelassener, schöner und erfolgreicher“ zu werden spricht mich nicht mehr an.

Und ich bin überzeugt, dass eine Menge meiner problematischen Denkmuster, mit denen ich mich als junge Frau herumplagen musste, auch von meinem ausgeprägten Konsum von Frauen- und Mädchenmagazinen herrührte, den ich in den 00-er Jahren an den Tag legte.

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Die Einstiegsdroge waren damals die „Mädchen“ und die „Bravo Girl“. Nachdem die ersten Teenagerhormone meinen Körper geflutet hatten, lösten diese Zeitschriften langsam die Pferdehefte ab. Monat für Monat erzählten die Redakteur*innen dieser Publikationen meinem pubertierenden Gehirn, wie ich das perfekte Girl für IHN werden konnte. Wie ich mich schminken, kleiden, frisieren sollte, ja, sogar, wie ich lächeln und was ich sagen sollte, um meinen TRAUMBOY zu beeindrucken.

Ein paar Beispiele gefällig? Ich habe eben mal nach den Covern dieser Magazine von 1999, 2000 und 2001 gegoogelt – den Jahren, in denen ich 14 bis 16 Jahre alt war. Das hier kam dabei heraus:

Nie wieder dick – ohne Diät!

Schluss gemacht – wie du IHN doch noch halten kannst

Er wirkt unerreichbar? Coole Tricks, wie du ihn trotzdem kriegst

Wie du Jungs verzauberst und super beliebt wirst

Test: Bist du ein Traumgirl?

Liebes-Magie: So ziehst du ihn in deinen Bann

Test: Kannst du einen Jungen verführen?

Die Figurtricks der Stars: Schlank, sexy und fit

Er liebt dich! Das verrät seine Körpersprache

So wirkst du auf Jungs: Mach unseren großen Test und finde heraus, wie du rüberkommst und wie du deine Ausstrahlung steigerst

Erober ihn: Die besten Strategien, um deinen Traumboy für dich zu begeistern

So schön bist du – die Vorher-Nachher-Show mit 6 Girl-Leserinnen

Große Figurberatung: Po zu dick, Beine zu kurz oder Oberkörper zu lang? Jeder hat so seine Problemchen… “Girl” gibt jede Menge Tipps, wie du aus deiner Figur das Beste herausholst

Diese Sommerlooks lieben Jungs!

Fitness: Schnell ein paar Kilo weniger

Wie gut kannst du küssen?

Wir machen dich bikini-fit

Wann triffst du endlich deine große Liebe? Mach den Test.

Was finden Jungs an Mädchen sexy?

Ich würde mal sagen – der Arbeitsauftrag war klar. Alles drehte sich darum, einen Jungen zu finden und für sich zu begeistern. Die Mädchenmagazine der 00-er Jahre waren ein 1A Briefing in Sachen Patriarchat. Aber auch für die Jungs. Die Cover der Magazine wiesen ihnen einen klare Position zu. Jungs waren das komplizierte Objekt der Sehnsucht. Etwas, das man entschlüsseln, verzaubern oder sonst wie um den Finger wickeln musste. Worte für ihre Gefühle hatten sie nicht und Komplexe gab es nur in Sachen Sex und Penislänge:

Verrückt – warum wir aus Jungs nicht schlau werden

Warum Jungs so oft die Worte fehlen

Was denkt er wirklich? Beim Küssen, beim Sex – und danach?

Boys und Treue – ein Junge gesteht: Ich lüge und betrüge

Versteh einer die Jungs – Wir sagen, wie du ihr Verhalten entschlüsselst

Der ewige Jungs-Komplex: Nackte Boys und ihr „bestes Stück“

Oops – die Sexpannen der Jungs

So sind Jungs: Weshalb er dich blöd anredet, obwohl er auf dich steht

Dieses Rollenbild war nicht nur für die Mädchen kritisch – auch die Männer und Jungs litten unter den toxischen Vorstellungen von Männlichkeit, die das Patriarchat ihnen diktierte. Was für ein furchtbares Bild, in das sie hineinwachsen sollten.

Queere Themen suchte ich auf den Titeln der alten Magazinausgaben, auf die ich bei meiner Recherche stieß, übrigens vergeblich.

Als ich dem Teenageralter schließlich entwachsen war und in meine Zwanziger eintauchte, wechselten die Magazine. Die Botschaft blieb die Gleiche. In JOY, JOLIE, Maxi und co wurden die Jungs zu Männern und die Mode wurde teurer. Der Rest blieb ziemlich gleich. Mich hat dieses Brainwashing wahrscheinlich Jahre gekostet – Jahre voller Liebeskummer, Selbstzweifel, Essstörungen und dem Ausharren in ungesunden Beziehungen. Natürlich waren die Botschaften diese Zeitschriften nicht die alleinige Ursache – aber sie waren Ausdruck gesellschaftlicher Werte, die wir von überall eingetrichtert bekamen. Von unseren Müttern, unseren Vätern, von Freund*innen und eben den Medien in Form von Magazinen, Filmen, Serien und schließlich auch dem Internet. Natürlich haben mich diese Werte geprägt und ich beobachte an mir und anderen Frauen meines Alters, dass wir immer noch unsere liebe Mühe haben, die Rückstände diese Denkmuster aus unseren Köpfen zu entfernen. Wenn du damit aufwächst, dass dir als eines der Hauptziele deines Daseins verkauft wird, dass du möglichst schön sein musst, um einen möglichst tollen Mann zu “ergattern” und zu “halten” – dann macht das was mit dir. Zumal solche Publikationen lange das Meinungsmonopol innehatten und das Internet und alternative Angebote erst nach meiner Pubertät flächendeckend Einzug in heimische Wohnzimmer erhielten.

Aber – hat sich da eigentlich was verändert? Wie sehen diese Magazine heute aus? Für diesen Post habe ich aus Neugier einen Blick auf aktuelle Magazin-Cover für Mädchen und Frauen geworfen. In Sachen „Bravo Girl“ und „Mädchen“ drehen sich viele Überschriften immer noch darum, möglichst gut auszusehen:

Insta-Looks perfekt nachschminken

Fit in 4 Minuten

Sofort super aussehen

Bauch, Beine, Po: 6 easy Workouts

Beauty-Looks mit Wow-Effekt

Auch immer noch ein Dauerbrenner – Themen rund um das „Rätsel“ Jungs:

Hat er Gefühle für mich? An diesen Anzeichen merkst du es

Hää? Was meint er? Jungs auf Social Media verstehen

Dein Jungs-Spickzettel. Was Boys wirklich meinen und wie du sie endlich verstehst

10 Boys Signale So erkennst du, was er wirklich will

Love-Check: Von Nerd bis Mr.Cool: So gewinnst du sein Herz

Aber ich sehe auch kleine Veränderungen. Das Thema Selbstbewusstsein ist präsenter. Auf dem Titel finden sich immer wieder Überschriften, die Mädchen bestärken sollen – jede Menge Selflove-Sticker gibt’s als Extra obendrauf. Headlines wie diese springen auf den Female Empowerment-Zug auf:

Das schaffe ich – selbstbewusst Hürden meistern

Zeit für einen Mutausbruch

Mehr Selbstbewusstsein  – 10 Tipps, wie es klappt

Single? Na und! Die 44 coolsten Kontersprüche

Girl Power – diese Sportarten machen dich total selbstbewusst

Und tatsächlich finde ich endlich auch mal eine Headline, die Mädchen aus ihrer ewig passiven Rolle befreit:

„Das große Jungs Special: Mag er mich? Mag ich ihn?“

–      Woop, woop! Es geht endlich auch mal darum, was die Mädchen wollen. Nicht nur darum, ob sie gefallen und als Objekt der Begierde taugen. Revolution!

All das ist natürlich auch immer noch sehr heteronormativ. Mit „Love & Diversity: Was bedeutet LGTBQ+“ war immerhin eine queerfreundliche Headline dabei.

Und bei den Magazinen für junge Frauen ab 20?Auf ihren Covern geht es weniger offensichtlich darum „den Männern“ zu gefallen – obwohl sich die meisten Magazine immer noch um Tipps rund um Mode, Schminke und Fitness drehen und damit natürlich auf subtile Weise auch weiterhin darum, für den “Heiratsmarkt” attraktiv zu bleiben. Aber die Headlines schlagen einen anderen Ton an. Das Wort „Ich“ steht im Zentrum. Es geht darum, das eigene Leben, Schicksal und Erscheinungsbild aktiv in die Hand zu nehmen und zu verbessern. Selbstoptimierung on fleek:

Das wird mein bestes ICH! 22 Sofort-Tipps für mehr Ausstrahlung und Selbstbewusstsein.

Mehr Sport, gesünder leben, fitter werden: Die 31-Tage-Challenge

Starke Frauen brauchen Muskeln: Endlich fit werden, so klappt es!

Ich will mehr… Freiheit, mehr Zeit, mehr Leichtigkeit.

Ich liebe mein Leben! 22 Glücksmomente, die wir viel zu leicht übersehen – die uns aber sofort happy machen

Pimp your Karma – so nimmst du dein Schicksal in die Hand

„GANZ BEI MIR“  Zwischen Selbstliebe und Selbstoptimierung: So schließen wir Frieden mit uns selbst.

Immerhin: Es gibt auch viele Tipps rund um das Thema Finanzen und Geldanlagen. Gleichzeitig dreht sich das Female Empowerment der Magazine aber naturgemäß um eine konsumistische Mitte: Gib Unsummen aus für teure Kosmetik-Treatments und Designerschuhe, weil du es dir wert bist.

Niemand in diesen Verlagen will, dass wir wirklich zufrieden sind. Es muss immer Luft nach oben bleiben. Wir sollen zumindest immer glauben, dass die Duftkerze für 65 Euro, die Yogamatte und der Smoothie-Maker unser Leben NOCH besser machen.

Was besonders auffällt: Die Verantwortung für das eigene Lebensglück wird komplett auf das Individuum übertragen. Frauen sollen Körper, Beruf, Familie und Finanzen im Griff haben. Was sich wie eine Ermächtigung lesen könnte, ist aber auch Teil einer größeren und spannenden Debatte rund um das Thema Post-Feminismus. Bald möchte ich diesem Thema einen ganzen Artikel widmen, in dem es um die Nähe von Neoliberalismus und Feminismus gehen wird. Darin werde ich untersuchen, ob alles, was als Female Empowerment gebranded wird, auch wirklich zu einer gerechteren Gesellschaft führt – oder eben wichtige Veränderungen eher bremst.

Nun sind Print-Magazine natürlich ohnehin auf dem absteigenden Ast. Die “Bravo Girl” verbucht seit 1998 ein Minus von sage und schreibe 97,4 %. Was in meiner Jugend noch DAS Medium für junge Mädchen war, erreicht heute – statt den damals fast 6 Millionen Leserinnen – nur noch knapp 15.000.  (Quelle: IVW)

Leider heißt das natürlich nicht, dass die damit verbundene Themen und transportierten Werte einfach verschwinden. Sie wandern ab ins Internet. Und auch wenn es dort erfreulich diverseren Content gibt als in den althergebrachten Printmagazinen – auf Instagram und Tiktok dominieren auch weiter Themen wie Schönheit, Fitness und Partnerschaft. Die Nachfrage bei Schönheitschirurg*innen nach Eingriffen, die das eigene Gesicht dem Instagram-Filter ähnlicher machen sollen, wächst. 2019 steigerte sich die Nachfrage nach kosmetischen Eingriffen, die das eigene Gesicht für Selfies optimieren sollen, laut der American Academy of Facial Plastic and Reconstructive Surgery  um 15% .

Was wir wirklich brauchen, um junge Menschen darin zu bestärken, ihren eigenen Weg zu finden, ist ein Wandel der Werte – und der wird leider nicht in ein paar Jahrzehnten vollzogen sein. Dafür braucht es einen langen Atem, kritisches Nachfragen und, immer wieder, den Willen, sich bewusst zu machen, was wir uns da täglich medial reinziehen. Welche Trends wir mitmachen und wie uns Apps oder Magazine beeinflussen.

Schön, dass es im Netz für Autor*innen wie hier auf Substack die Möglichkeit gibt, Beiträge zu veröffentlichen, die diese Prozesse begleiten. Damit wir uns Stück für Stück einer neuen, inklusiveren Gesellschaft entgegenschreiben und -lesen können.

PS: Weil Nachfragen kommen – Auszüge aus meinen Substack-Posts darfst du gerne per Screenshot, zum Beispiel auf Instagram, teilen. Wenn dich etwas inspiriert und du es teilen möchtest, ist das doch das schönste Kompliment für meine Arbeit. Ich freue mich immer wie ein Keks, wenn du mich taggst und ich sehe, dass die Hinterhofgedanken weitergetragen werden.

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mi_unconscious
Writes Wandelbarkeiten
Feb 7Liked by Kea von Garnier

Phew, wie ich beim Lesen innerhalb von wenigen Sekunden so unglaublich wütend geworden bin ey. Dieses ganze "Du musst zusehen, dass du für IHN gut genug bist!"-Ding hat bei mir so durchgeschlagen und ich arbeite heute noch daran, dieses Thema loszulassen. Von allen Dächern wurde das gebrüllt und jede meiner Beziehungen war davon überschattet bis (zuletzt) zumindest beeinflusst. Weiß noch gar nicht wohin mit dieser immensen Emotion gerade, aber immerhin ist mir heute klar wie gesund es ist, darauf Wut empfinden zu können und zu wissen, dass ich sowas nicht mehr leben, sondern mich daraus lösen will so gut es eben möglich ist.

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1 reply by Kea von Garnier
sibylle
Writes zwischen meinen notizbuchseiten
Mar 5Liked by Kea von Garnier

Wow, diese Headlines! 🙈 Wie langweilig muss es auch sein, immer wieder dasselbe mit anderen Worten zu schreiben?

Obwohl ich in der Realität mit Jungs irgendwie nicht viel anfangen konnte, war da doch immer dieser Druck, denn alle anderen hatten einen Freund oder alle zwei Wochen einen neuen Kerl. All das hat damals meinen Blick darauf verstellt, was ich wirklich war: lesbisch. Es hat bis zur Mitte meiner Zwanziger gedauert, zu dieser Erkenntnis wirklich zu kommen. Dafür kann ich diese Magazine jetzt ohne Probleme ignorieren.

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1 reply by Kea von Garnier
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