»Bist du eigentlich auf LinkedIn?«, fragt mich mein Mann an einem mäßig warmen Sonntagnachmittag, den an dem sich der Himmel nicht so richtig zwischen Grau und Blau entscheiden kann.
»Hmja«, sage ich und denke an die 11 unbeantworteten Kontaktanfragen und 4 Nachrichten, die ich seit Mitte letzten Jahres in meinem Profil ignoriere. Aktiv würde ich das nicht nennen, aber ich bin so da. Irgendwie.
Also kommen wir spontan auf die Idee, mein Profil zu pimpen. Oder – zumindest zu aktualisieren. Mein Mann ist Personaler, also bekomme ich jetzt vielleicht die ultimativen Tipps, wie man einen digitalen Hammer-Auftritt hinlegt. Das muss ich doch nutzen! Und kriege direkt einen ersten Arbeitsauftrag: «Zeig mir mal drei Profile von Frauen, denen du folgst und deren Auftritt dir gefällt. Studiere sie ein bisschen und lass uns danach darüber reden.«
Guter Ansatz, denke ich. Ich öffne drei Tabs, mein Mann geht Kaffee kochen. Als er 10 Minuten später aus der Küche zurückkehrt, findet er mich tief eingesunken in meinen Stuhl wieder. Es ist der Effekt, den es immer auf mich hat, wenn ich mit der „realen Arbeitswelt“ in Kontakt komme. Treffer, versenkt!
Mir die Profile dieser erfolgreichen Frauen anzuschauen, lässt mein Herz in den Keller rutschen. Ich kann da nicht mitspielen, denke ich. Konnte ich doch noch nie.
Ich hab mich ja direkt nach dem Studium selbstständig gemacht, weil ich zu viel Angst hatte vor der Arbeit als Angestellte in einem Unternehmen – nicht weil ich so mutig war oder unbedingt mein eigener Boss sein wollte.
Meine Angststörung, mein Reizdarm und meine anderen chronischen Erkrankungen haben mir den Weg in ein reguläres Angestelltenverhältnis früh abgeschnitten. 2012, zur Zeit meines Abschlusses, waren die Chef*innen dieser Welt außerdem noch viel weniger für home office zu erwärmen als nach Corona und dem Siegeszug der Glasfaser.
Und allein diese Lebensläufe zu sehen – die Lebensläufe der anderen – das schüchtert mich immer ein bis ins Mark. Vier Jahre bei diesem Verlag, fünf Jahre bei jener Agentur, Gesellschafterin bei Unternehmen XY. Co-Founder. Top 40 under 40. Speaker. Bestselling Author. Kuratoriumsmitglied. Grimme-Online Award. Mitglied der Hauptjury. Media-Persönlichkeit des Jahres.
Wenn ich sowas sehe, bin ich wieder neunzehn Jahre alt und will mich unters Bett legen und nie wieder rauskommen.
Dabei ist es nicht so, dass ich meine Fähigkeiten nicht kenne: Ich weiß, dass ich sehr gut mit Worten umgehen kann, liebe meine schnelle Auffassungsgabe und kann auf viele Erfolge als Selbstständige zurückschauen. Und doch: Die großen Meilensteine in meinem beruflichen Lebenslauf fehlen. Wichtige Kontakte habe ich kaum. Es gibt keine “großen Namen”, die ich mir ans Revers heften, bzw. in die Vita schreiben könnte. Maximal als Freelancerin habe ich größere Konzerne berührt, aber das waren temporäre, kleine Projekte, die ich nicht auflisten möchte.
Linkedin ist ein Netzwerk, in dem es nur so wimmelt vor Menschen, die Chefredakteur*innen sind oder waren, die Projekte geleitet und Preise entgegengenommen haben. Natürlich ist mir klar, dass der Mensch dazu neigt, sich auch auf beruflichen Plattformen ein bisschen besser darzustellen als er ist und aus seinen Vorzügen das Maximale herauszuholen. Warum sollte das anders sein als auf Dating-Apps? ;) Da wird sicher das eine oder andere frisiert und man hat für Mercedes gearbeitet, nur weil man im unbezahlten, sechsmonatigen Praktikum in der Werbeagentur mal bei einer Kampagne drei Bildmotive retuschiert hat. Das Äquivalent auf Tinder sind wahrscheinlich fürs Foto geliehene Welpen/Katzen oder Kinder, die man mal halten durfte.
Aber Spaß beiseite – auch wenn ich diesen Beschönigungs-Faktor rausrechne, wird mein eigener Berufsweg nicht konkurrenzfähig. Als Mensch mit chronischen Erkrankungen ist mir der klassische Werdegang nicht vergönnt gewesen und manchmal holt mich das in Sachen Selbstbewusstsein durchaus ein.
Ich muss an das alte Logo von Step-Stone denken, diese aufeinander folgenden Steine. Oder an den Begriff der Karriereleiter. Mein Weg war eher der Trampelpfad daneben. Nicht, dass so ein Pfad, auf dem man auch ganz zwanglos barfuß unterwegs sein kann, nicht auch seinen Reiz hat! Aber wenn ich mich mit einer Plattform wie LinkedIn konfrontiert sehe, dann kommen meine ganz alten Minderwertigkeitsgefühle an die Oberfläche.
Mein Mann hält mir einen TED-Talk, ermutigt mich, meinen Blog auf LinkedIn zu verlinken, aber der erste Artikel, der da aktuell oben auftaucht, lautet: „CHRONISCH KRANK IN DER ARBEITSWELT – 5 TIPPS, DIE ES DIR ETWAS LEICHTER MACHEN“.
Fast muss ich darüber lachen. Einen „besseren“ ersten Eindruck kannst du in der leistungsorientierten Business-Bubble wahrscheinlich kaum machen. Wo doch „Belastbarkeit“, „gute Performance unter Zeitdruck“ und „Zuverlässigkeit” laut der meisten Jobbeschreibungen die Kernkompetenzen einer jeden guten Arbeitskraft sind.
»Mein Blog, mein Buch, mein Engagement für psychische Erkrankungen – fast alles, was ich geschaffen habe, fußt doch darauf, dass ich eben NICHT in der Arbeitswelt funktioniere.«, sage ich zu meinem Mann. »Ich glaub, ich sollte auf dieser Plattform einfach gar nicht vertreten sein.«
Und er sagt: »Ich glaube nicht, dass es DIE Arbeitswelt gibt.«
Bähm. Darüber denke ich kurz nach. Er könnte recht haben. Also, ich glaube durchaus, dass es DIE Arbeitswelt gibt, dass es ein Wertesystem gibt, das den meisten Stellenausschreibungen zugrunde liegt.
Aber muss das so bleiben?
Inspiriert von diesem In-Frage-Stellen des Status Quo verfasse ich dann einen proaktiven neuen Text für mein LinkedIn-Profil. In dem ich nicht kaschiere, was sowieso jede Recruiter*in in 5 Sekunden entdeckt, die meinen Namen googelt. Sondern in dem ich mein Engagement für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen als mein Thema benenne und ganz klar sage – nö, ich funktioniere nicht in diesem System. Dieses System muss inklusiver werden und ich kämpfe dafür. (Wenn du wissen willst, wie das klingt, kannst du das hier nachlesen.)
Als ich auf „speichern“ drücke, fühle ich mich besser. Nicht gut. Aber besser.
Ich könnte mich auch verstecken. Ich finde, die aktuelle Arbeitswelt verführt dazu. Weil man sich wirklich SEHR anders und falsch vorkommt, wenn man in Sachen „klassischem“ beruflichem Werdegang nicht viel vorzuweisen hat. Aber wenn die unsichtbar bleiben, die besondere Rahmenbedingungen und etwas Rücksichtnahme brauchen und “leisere” Lebensläufe haben, dann ändert sich an der „härter, belastbarer, krasser– Mentalität” nie etwas.
Menschen, die chronisch erkrankt sind, ob psychisch oder körperlich, haben viel zu geben. Es sind kreative, empathische Menschen mit Weitblick und einer bereichernden Perspektive. Sie haben aus ihrem Weg heraus oft ungeheuer viel Stärke und Elastizität zugleich gewonnen. Und es sind Persönlichkeiten, die eine hohe Eigenmotivation mitbringen – wer in Sachen Karriere nicht die klassischen Erfolgs-Checkboxen abhaken kann, muss sich anders motivieren und für seine Sache leidenschaftlich brennen.
Ihnen den Einstieg zu erleichtern, ihnen Brücken zu bauen und sie nicht durch eine hochfunktionale, shiny-happy-healthy-Fassade abzuschrecken, wäre für alle ein Gewinn. Damit das Stichwort “chronisch krank” nicht automatisch dazu führt, dass man in den Köpfen von Entscheider*innen direkt als nicht ganz erstzunehmend abgehakt wird.
Zum Glück gibt es immer mehr Unternehmen, die offen sind und anderen, inklusivere Wege gehen. Ich empfehle dazu die sehr inspirierende Ausgabe von „Neue Narrative“ zum Thema Gesundheit/Krankheit im Job. (Werbung ohne Auftrag)
Unsere neoliberal und patriarchal geprägte Wertekultur ist im Wandel, aber es ist noch ein langer Weg. Der Weg zu einer Arbeitswelt, in der es nicht mehr nur darum geht, was wir leisten und wir hart wir durchackern können, sondern auch darum, wie es uns dabei geht. Ein Verständnis von Arbeit, in dem Verletzlichkeit Platz hat.
Auf LinkedIn meine eigenen Versehrungen preiszugeben und mich nicht zu verstecken – egal, wie nackt und schutzlos sich das gerade in diesem Kontext anfühlt – und dieser Blogartikel: Das sind meine zwei kleinen Schritte, die ich heute gehe, um diesem Ziel näher zu kommen.
PS: Weil Nachfragen kommen – Auszüge aus meinen Substack-Posts darfst du gerne per Screenshot, zum Beispiel auf Instagram, teilen. Wenn dich etwas inspiriert und du es teilen möchtest, ist das doch das schönste Kompliment für meine Arbeit. Ich freue mich immer wie ein Keks, wenn du mich taggst und ich sehe, dass die Hinterhofgedanken weitergetragen werden.
Danke für den Anstoß, gleich mal das eigene Profil ein bisschen überarbeitet. Werde selbst an der Uni immer wieder ermutigt, offen mit meiner Situation umzugehen weil ich eben nicht nur den holprigen Lebenslauf, sondern auch viele wichtige Erfahrungen zu bieten habe. Aber das dann wirklich in die Tat umzusetzen - phew. Leichter wirds immer, wenn wer anders schon mal angefangen hat. In diesem Sinne Danke. :)