Ich glaube, wir hatten in noch keinem Winter im Taunus so viel Nebel wie in diesem. Fast jeden Tag verlieren die Kronen der Bäume irgendwo im oberen Drittel ihre Konturen und lösen sich auf, in dieses grauweißen Nichts, das im Licht der Straßenlaternen in Wellen vorüber treibt und den Rest der Welt scheinbar verschwinden lässt. Dann sitzen wir hier auf unserer bewaldeten Insel, nur ein paar Höhenmeter getrennt von Frankfurt und seinen Wolkenkratzern, aber selbst von denen fehlt jede Spur.
Und ich mag es. Ich liebe es sogar.
Disclaimer – das ist kein Dauerzustand. Ich weiß, dass ich im Januar, spätestens im Februar, das Wintergrau verfluchen werde, wenn auch meine Vitamin-D-Tabletten und die Tageslichtlampe nicht mehr helfen und jede Zelle meines Körpers nach Frühling schreit. Nach Sonne und Wärme und Krokussen.
Aber für den Augenblick möchte ich es nicht anders haben. Will mich einkuscheln in dieses Bett aus kondensiertem Wasserdampf (danke, Wikipedia ;). Spaziere durch den Wald, der seine Stämme nur meterweise freigibt, seine nächste Wegbiegung erst enthüllt, wenn ich schon fast vor ihr stehe.
Für mich liegt etwas Mystisches, Altes, Geheimnisvolles in diesem Nebel. Er macht mich anfällig für Geschichten und Märchen, für Erinnerungen und innere Einkehr. Er baut einen weiße Schutzring um mich, in dem mich vieles, was mich sonst stresst, nicht erreichen kann.
Und er passt so gut zu dem Motto, unter dem ich die restlichen Tage dieses Monats verbringen will: Mein slow december.
Ich bin nämlich normalerweise wahnsinnig gut darin, mich zu stressen. Mir zu viel aufzuladen, zu viel auf einmal zu wollen und von morgens früh bis abends spät in hektischer Geschäftigkeit durch die Wohnung zu wirbeln.
In den vergangenen Jahren habe ich am Jahresende oft gedacht: “Verdammt, ich will das nicht mehr! Ich will nicht noch so ein rastloses Jahr.”
Und ich erinnere mich an Gespräche mit einer guten Freund*in, in denen wir uns gegenseitig unser Leid geklagt haben und uns immer wieder gewundert haben: Wie konnte es nur passieren, dass schon wieder tausend Brände in unserem Alltag loderten, die es eiligst zu löschen galt?
In diesem Jahr nicht. In diesem Jahr habe ich das erste Mal seit langer Zeit Entscheidungen getroffen, die meinen Alltag entschleunigt haben. Vor allem der Verzicht auf das wöchentliche Pendeln zur Uni war so eine Entscheidung.
Getroffen habe ich sie schon gegen Ende des Sommersemesters, als mir zwischen verspäteten Zügen, vollen Seminaren und dem ewig gepackten Koffer die Luft ausging. Ich habe damals ganz deutlich gespürt: “Ich kann nicht mehr so weitermachen.”
Ich kann nicht immer dieselben Zutaten in die Schüssel werfen und mich am Ende darüber wundern, dass wieder der gleiche Kuchen dabei herausgekommen ist.
Und ich sag’s dir ehrlich: Das hat wehgetan. So richtig. Das hat eine Welle von FOMO (fear of missing out = die Angst, etwas zu verpassen) in mir ausgelöst, die erst jetzt, Monate später, langsam abebbt.
Verliere ich den Kontakt zur Uni? Zu meinen Kommiliton*innen? Schaffe ich es überhaupt, für Blockveranstaltungen nach Hildesheim zu fahren, wenn ich nicht regelmäßig übe, mit und trotz meiner Angststörung zu reisen? Da kamen so viele Ängste hoch, mit denen ich wochenlang gedanklich jonglierte.
Am vergangenen Wochenende war ich dann das erste Mal seit Monaten an der Uni, zum Blockseminar “Den (abnormen) Körper schreiben”. Ich war heilfroh, dass ich es schaffte, dort zu sein, trotz meines abnormen, chronisch kranken Körpers. Leicht war dieser Trip keineswegs. Ich war wirklich aus der Übung und im Moment, in dem ich aus der Tür gehen sollte, gab es Tränen und Verzweiflung und Überforderung.
Und als ich zwei Tage später auf der Rückfahrt im Zug saß, stolz und glücklich, da habe ich auch gespürt: Jede Reise kostet mich enorm viele Ressourcen. Und diese Entscheidung, im Wintersemester kürzer zu treten, war richtig. Auch wenn das gewisse Einbußen bedeutet hat:
Ja, ich komme langsamer voran mit meinem Master, als mir lieb ist. Ja, bei vielen Veranstaltungen und Socialising-Events bin ich nicht am Start (dafür habe ich aber zum Beispiel eine wunderbare Co-Writing-Gruppe mit zwei Kommiliton*innen gegründet, von der wir alle sehr begeistert sind). Und ja, ohne regelmäßige Übung wird das Wegfahren wieder schwerer für mich.
Aber – ich kann mir meinen Slow December erlauben, von dem ich lange geträumt habe. Weil ich endlich mehr Zeit und mehr Kraft habe.
Zeit und Kraft, um lange Spaziergänge im Nebel zu machen. Um zu schreiben. Um Brot zu backen und Ideen reifen zu lassen. Um alles, was ich mache, wieder mit mehr Muße zu tun.
Ich habe andere Zutaten in meine Schüssel geworfen. Und der Kuchen, der dabei herauskommt, schmeckt anders. Er hat vielleicht ein oder zwei Aromen verloren, aber er hat insgesamt einen Geschmack, der mir verdammt gut auf der Zunge liegt.
Ich halte nichts von diesen “Du kannst ALLES gleichzeitig haben”-Parolen. Weil das meistens nicht stimmt. Oder zu einem verdammt hohen Preis kommt. Einem zu hohen Preis.
Ich glaube, das wir wieder lernen müssen, zu verzichten, um mehr von dem zu bekommen, das wir eigentlich wollen.
(Ich habe hier auf Insta neulich darüber geschrieben, auf was ich verzichtet habe, um meinen Roman in diesem Jahr zu beenden, wenn dich das Thema interessiert, lies mal rein!)
Also – wenn du das hier gerade gelesen hast und dich wiedererkennst in den Gesprächen, die ich damals mit meiner Freund*in geführt habe über die immer gleichen, gehetzten Jahre, dann lade ich dich ein, in dich zu gehen und dir zu überlegen:
Welche Zutaten möchtest du 2025 in deine Schüssel geben?
Welche brauchst du, damit der Kuchen am Ende ungefähr so schmeckt, wie du es dir wünschst?
Und was ist vielleicht nicht mehr bekömmlich für dich?
Welchen neue Geschmack darf dein Kuchen – aka dein Leben – im kommenden Jahr entfalten? Über welchen würdest du dich tierisch freuen? Und welchen Preis bist du bereit, für das neue Rezept zu zahlen?
Schreib es mir in die Kommentare, wenn du magst :)
Ich wünsche dir einen Dezember in genau dem Tempo, das dir gut tut!
PS: Du möchtest das vertiefen? Das alte Jahr gut verabschieden und dich auf das Neue ausrichten? Dann komm gern noch zu meinem Rauhnachtsschreiben dazu, das ich zwischen den Jahren anbiete 🌟
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Bester Satz, und so wahr: "Ich glaube, dass wir wieder lernen müssen zu verzichten, um mehr von dem zu bekommen, das wir eigentlich wollen." In der heutigen Zeit des Machbarkeitswahns nicht besonders sexy und daher umso wichtiger <3. Ja, wir können vieles erreichen, aber tatsächlich nicht alles gleichzeitig.
Ich habe für mich schon eine Entscheidung getroffen fürs 2025, und das hier bestätigt meine Gehrichtung. Danke dafür, liebe Kea!
Liebe Kea,
danke für dein "Erinnern". Ich frage mich oft was mich so auslaugt. Warum ich immer weniger das tue wonach sich mein Herz sehnt. Und...ja, es sind diese tausend Möglichkeiten die vom Außen nach mir greifen, ich mich von ihnen greifen lasse, ich mich zum Spielball machen lasse und mich nicht mehr spüre. Damit möchte ich jetzt aufhören. Damit werde ich jetzt aufhören. Ich lasse los . Weil ich weiß ich werde gewinnen...MICH zurück...MEIN Leben zurück...Mein SEIN... Ich weiß dass , das auch erstmal eine Leere kreiert, es einer neuen Art bedarf sie zu füllen. Wie du so schön schreibst "Welche Zutaten möchtest du 2025 in deine Schüssel geben ?"
Und dir liebe Kea wünsche ich viele schöne Momente mit deinem Körper. Würdest du so viel stolz und Dankbarkeit empfinden können ? Wärst du so stark und wertschätzend mit dem Leben und mit dir selbst, wenn er nicht so wäre wie er ist. Für mich ist er nicht "abnorm". Er ist wie er ist. Er tut sein Bestes für dich. Und es ist deiner. Und überhaupt, dieses festlegen von Normen ist für mich ein Thema in das ich mich unendlich verlieren könnte weil es mir so unsinnig erscheint und bestimmt nicht so vom Leben gedacht ist...
Herzlichst Jeanette