Lange Zeit wollte ich einfach nur "normal" sein
Was meine chronischen Erkrankungen mich gelehrt haben
Wow. Was für eine Zeit hinter mir liegt! Ich weiß nicht, wie es bei dir gelaufen ist, aber mich hat 2023 in den ersten Monaten des Jahres nicht gerade sanft in seinen Armen geschaukelt.
Es ging gleich richtig los. Mit Existenzängsten, gesundheitlichen Schwierigkeiten und schließlich mit der für mich größtmöglichen Angstprüfung – einer Endometriose-OP.
Über 5 Jahre lang habe ich diesen Eingriff vor mir hergeschoben, drei Anläufe in verschiedenen Endo-Zentren habe ich gebraucht. Und noch am Vorabend der Operation wusste ich nicht, ob und wie ich das schaffen sollte. Für den Blog arbeite ich gerade an einem Artikel mit dem Thema: „Wie kann ich mich mit meiner Angststörung auf eine Operation vorbereiten?“ Er wird in den nächsten Tagen online gehen.
Und es ist immer noch absurd für mich – die Pflaster auf meinem Bauch zu sehen, diesen Blogartikel zu verfassen, in dem „Danach“ zu leben, nachdem das „Davor“ mich vorher fast um den Verstand gebracht hat. Zeit ist so etwas Verrücktes. Sie fließt jeden Moment durch unsere Finger hindurch und keinen dieser Augenblicke kannst du festhalten. Du steuerst wochenlang auf einen Punkt zu und dann rauscht er an dir vorbei, wie die Leitpfosten an der Autobahn. Ein kurzes Aufleuchten in der Dunkelheit der Nacht. Und zack – vorüber.
Aber egal, wie schnell es ging – nun ist es so. Ich hab das geschafft. Ich könnte weinen vor Freude! Und nicht selten tue ich das dieser Tage.
Jetzt werden die Schmerzen täglich weniger und die Bewegungsfreiheit wieder größer. Schwer heben und Sport sind für 4 Wochen tabu, aber danach kann ich umso befreiter in den Frühling starten. Ich fiebere ihm entgegen und freue mich schon so sehr auf meinen ersten langen Spaziergang!
Nach dieser großen Prüfung sitze ich aber auch hier und ziehe Bilanz. Denke über mein Leben nach. Denke darüber nach, dass manche Dinge, die für andere Menschen zweifelsohne auch sehr unangenehm sind, für mich solche R-I-E-S-E-N-H-Ü-R-D-E-N sind.
Ich hab nie ein normales Leben gelebt. Eines ohne Angststörung. Für mich war das immer die Brille, durch die ich auf die Welt geblickt habe.
Ich glaube, vor zwei Jahren wollte ich davor gerne die Augen verschließen. Wollte das alles hinter mir lassen. Nachdem 2020 mein Buch „Die Vögel singen auch bei Regen“ veröffentlicht wurde, in dem ich nachgezeichnet habe, wie meine psychischen Erkrankungen meinen Lebensweg geprägt haben, wollte ich damit abschließen.
Ich weiß noch, wie ich damals dachte: Ich will nicht „bekannt“ sein für meine Erkrankungen. Oder dafür, wie ich damit umgehe. Ich wollte nicht mehr mit Worten wie „Angststörung“ assoziiert werden, strich das alles aus meiner Instagram-Bio und machte mich als Schreibcoachin selbstständig. Ich wollte etwas rein Fachliches tun, für meine Expertise rund ums Schreiben wertgeschätzt werden. Ich glaube, ich wollte einfach mal auf den ersten Blick „normal“ sein.
Zwei Jahre später fühle ich anders. Zwei Jahre später erkenne ich an, dass meine psychischen und körperlichen chronischen Erkrankungen durchaus eine R-I-E-S-E-N-H-Ü-R-D-E sind. Dass sie gewaltigen Impact auf mein Leben haben. Every day. Sie sind da, ob es mir gefällt oder nicht.
Ich kann natürlich versuchen, das zu kaschieren. Ich kann eine hübsche Fassade aufbauen und meine gesundheitlichen Themen mit mir selbst aushandeln.
Aber – jetzt, mit 38, da schüttele ich dazu den Kopf. Da sage ich: Nein. Nein, dieser Alltag ist meine aktuelle Lebensrealität und ich will sie nicht verstecken oder ihr ein bisschen Puder aufs Näschen stäuben, damit sie adretter aussieht.
Versteh mich nicht falsch – es geht mir nicht darum, zu jammern oder mich auf die negativen Aspekte des Lebens zu konzentrieren. Ich gehe weiter zu meiner Therapie, probiere aktuell mit Somatic Experiencing und der Suche nach einer guten Hypnose-Therapeut*in auch neue Wege aus. Ich werde nie müde sein, nach Verbesserung und Heilung zu streben.
Aber ich bin nicht mehr bereit, meine kostbaren und ohnehin durch die Erkrankungen begrenzten Zeit- und Kraftressourcen dafür einzusetzen, nach Außen hin so zu performen, als wäre ich gesund.
Ich will mehr Rücksicht auf die Frau nehmen, die ich nun einmal bin. Was übrigens nicht heißt, dass meine Sehnsucht aufhört. Meine Sehnsucht danach, im Vollbesitz von geistiger und seelischer Gesundheit zu sein und einfach aufs Leben lospreschen zu können – mit meinen Händen, mit meinem Geist, mit meiner Kraft, mir all das erarbeiten zu können, von dem ich träume.
Aber mein Leben hat andere Weichen gestellt bekommen. Ich mache mich in meinem Tempo daran, einige Träume zu erfüllen, während ich von anderen Abschied nehme.
„Harte Arbeit“ wird mich nicht „ganz nach oben“ bringen, meine Chancen darauf, „ganz oben“ zu sein, sind von Anfang an sehr gering gewesen. Ich sag das ohne Bitterkeit. Fast jedenfalls. Ich sage das mit einer gewissen Traurigkeit. Aber auch selbstbewusster als früher.
Ich bin chronisch krank und ich muss andere Wege auftun, mein Selbstwertgefühl zu stärken als die üblichen Check-Boxen abzuhaken, die das Leben in der modernen Leistungs- und Konsumgesellschaft vorsieht.
Das ist eine Herausforderung. Aber krank zu sein, das hat mich Dinge gelehrt, die für mein Leben und das der Menschen um mich herum von hohem Wert sind: Mitgefühl. Demut. Dankbarkeit. Unendlich viel Durchlässigkeit für die Schönheit des Lebens.
Seltsam, eigentlich. Weder Geld, noch Ruhm, noch Erfolg, diese Dinge, nach denen fast alle zu streben scheinen, garantieren irgendetwas davon.
Ich muss an die Künstlerin Frida Kahlo denken, die ihr Leben nach einem Unfall mit viel seelischem und körperlichem Leid verbrachte, das sie auch immer wieder in ihren Gemälden thematisierte. Kahlo sagte: „Ich male mich, weil ich sehr viel Zeit allein verbringe und weil ich das Motiv bin, das ich am besten kenne.“
Vielleicht ist mein Leben trotz und mit meinen Erkrankungen, die mich teilweise schon seit Jahrzehnten begleiten, ein Motiv, das ich bestens kenne. Eine Perspektive auf die Welt, die viel Schmerz und Verlust mit sich bringt, aber die auch eine Kraft in mein Herz gelegt hat, auf die ich nie verzichten wollte.
Was ich mit dieser Reflexion nach der Überwindung einer meiner größten Ängste sagen will, ist: Ich möchte daran arbeiten, mich immer weniger für meine Erkrankungen zu schämen. Ich möchte sie immer weiter integrieren. In meine Arbeit als Autorin und damit auch zu einem kleinen Teil in die Gesellschaft.
Und ich beginne zu fühlen, dass GENAU DIESER Lebensweg mich mehr zu dem Menschen gemacht hat, der ich sein möchte. Mehr womöglich als es ein glatter Durchmarsch hätte vollbringen können. Vielleicht ist das alles kein Fehler, kein Irrweg, kein Abklatsch von wie-es-hätte-sein-sollen. Vielleicht ist das einfach mein Leben.
Respekt Kea - sehr mutig dein Weg!