Eigentlich wollte ich diesen Post gar nicht mehr veröffentlichen. Zu lange her, zu unaktuell, interessiert dieses Thema überhaupt irgendjemanden so sehr wie mich? Aber dann habe ich in den letzten Wochen gespürt: Die Erkenntnisse aus meinem ersten 14-tägigen Urlaub seit Jahren wirken IMMER noch nach. In welcher Weise sie das tun, das verrate ich dir am Ende des Artikels. Hier kommen jetzt erstmal meine Reflexionen aus dem Urlaub und der Versuch einer Antwort auf die Frage: Angesichts der Arbeit, unserer 24-h-Erreichbarkeit und der Dauerbeschallung durch Social Media – können wir überhaupt noch runterkommen und entspannen?
14 Erkenntnisse aus 14 Tagen Urlaub
1. Mein Mann und ich fahren los. Bis zur letzten Minute arbeite ich, ich nehme sogar noch Arbeit mit in den Urlaub und am ersten Morgen dauert es nicht lang und kurz, nachdem wir Berge und Sonne beim Frühstück bestaunt haben, finden wir uns vor unseren Laptops wieder. Er im Sessel, ich am Tisch am Fenster, haben die Geräte uns angesaugt, sind wir ihrem leisen Summen gefolgt und tun, was wir auch sonst den größten Teil des Tages tun: Arbeiten. Nur noch schnell die Dinge wegschaffen, die noch zwischen uns und der richtigen Erholung stehen. Wir packen die Bücher aus, die wir während des Urlaubs lesen wollen. Sie liegen wie Skulpturen im Raum, die wir anschauen, aber nicht wagen, zu berühren.
2. Am ersten Tag fahren wir mit der Gondel einer Bergbahn auf einen Gipfel und trinken dort oben Tee. Angeheiterte Österreicher am Nebentisch erzählen Geschichten von einem lustigen Besäufnis. Ein dreibeiniger Hund kackt auf den Schnee. Ein Skifahrer sitzt im Liegestuhl, starrt ohne Fokus auf den Berg und lauscht dem italienischen Singsang einer Sprachnachricht, die aus seinem Handy plärrt. Ich sitze da, streiche über das Holz der Tischplatte, dränge darauf, dass wir es rechtzeitig zur letzten Abfahrt zur Bahnstation schaffen und merke, als wir wieder in der Unterkunft ankommen, dass die seltsame Unruhe in mir immer noch da ist. Als würde eine Bahn abfahren, irgendwo, ohne mich. Ich ahne, dass meine Nervosität etwas mit der Abwesenheit von Arbeit zu tun hat, aber ich kann es noch nicht ganz greifen.
3. In der Unterkunft ist jede Menge Holz verbaut. Es gibt noch keine Routinen. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich danach sehne, bald wieder Zuhause zu sein, wo ich weiß, was ich zu welcher Tageszeit tue. Wo ich weiß, an welchem Ort der Wohnung ich mich zu welcher Tageszeit befinde. Hier ist alles frei und die Freiheit macht mich nervös. Sitze ich am Tisch oder auf dem Sessel, liege ich im Bett oder auf dem Sofa? Alles befindet sich im gleichen Raum. Auch mein Mann und ich befinden uns das erste Mal seit langer Zeit so lange Zeit am Stück im gleichen Raum. Wie gestalten wir diese Zweisamkeit? Ich denke an Zuhause, in dem wir gefühlt immer zu wenig Zeit miteinander haben. Stunden, die wir den langen Tagen abtrotzen, die wir quetschen zwischen das Gefühl, schnell noch eine Mail schicken zu müssen und die bleierne Müdigkeit, die es ab irgendeinem Zeitpunkt sogar zur Anstrengung macht, eine Zahnbürste auf Mundhöhe zu halten.
4. Wir wandern. Wald, Almwiesen, Bäche, Hütten. Wiesen, deren Gras noch plattgedrückt vom Schnee, gelb und schwach im Frühlingswind zittert. So fühle ich mich, ohne die Arbeit. Zuhause halte ich mein Gehirn immer beschäftigt, von früh bis spät, es ist fast eine Art Zwang, die wenigen Lücken, die entstehe, füllt das Handy. Der Strom der Berieselung reist nie ab, er lähmt mein Denken, ich spüre das, ich genieße das oft sogar. Es ist nicht immer echter Stress, echten Stress genieße ich nicht, es ist der selbstgewählte, der betäubende, der, der mich einlullt, mich wiegt, warm und gleichmäßig, Bilder, Musik, Stimmen, Videos. Ich kann mich verbunden fühlen mit der Welt, auch wenn ich im Grunde den ganzen Tag allein im Zimmer saß. Dieses Bild lässt mich nicht los: Dass, wenn man nur hinsehen würde, man einen Menschen sehen würde, der allein in einem Raum sitzt und auf ein kleines Gerät starrt. Bewegunglos.
5. Der erste Schlechtwettertag. Der Regen hört nicht auf. Wir schaufensterbummeln vor geschlossenen Geschäften, drücken uns unter den gemeinsamen Regenschirm. Wir haben ein Gespräch über ein großes Thema. Es ist anstrengend, aber es war wichtig. Ob ich mir zuhause diese Zeit genommen hätte? Wir kochen, wir essen, wir lernen, nicht jede Minute mit Worten zu füllen. Wir schweigen, auf angenehme Weise. Wir tun Dinge wieder getrennt voneinander. Wir greifen zu unseren Büchern. Am Nachmittag fahren wir hinaus, besichtigen ein Städtchen, dessen Besuch sich nicht lohnt. Wir fahren weiter, zu einem Wasserfall. Der Weg dorthin ist durch eine Baustelle gesperrt. Durch Zufall entdecke ich ein buddhistisches Zentrum irgendwo im nirgendwo. Und einen See. Wir parken das Auto. Die Sonne blinzelt durch die Wolkendecke. Wir begegnen nur wenigen Menschen. Wo sind denn alle? Ist es falsch, am Ufer zu spazieren, wenn sonst niemand hier ist? Wir haben ein langes und sehr gutes Gespräch über unser Verhältnis zur Arbeit. Jetzt zeigt sich, was Jenny Odell in ihrem Buch über Rückzugsaufenthalte schreibt, die „unsere Wahrnehmung des alltäglichen Lebens“ beeinflussen, „sobald wir es wieder aufnehmen“. Wer sind wir, wenn wir nicht arbeiten? Wir sprechen über das Leben als Rentner*innen, darüber, wieviel wir arbeiten wollen würden, wenn Geld keine Rolle spielen würde. Über die Notwendigkeit von Langeweile. Auf die Bank an der Aussichtsplattform kann man sich nicht setzen, alles ist noch regennass. Der Kies knirscht unter unseren Füßen. Es ist nicht knackig kalt, es ist nicht warm. Ich finde das menschenleere Ufer und die grauen Wolken und die leeren Parkplätze dröge. Und spüre doch, dass etwas in mir diese Unlust wichtig findet. Sie einfach zuzulassen. Wir sprechen über die Notwendigkeit von Langeweile. Ich muss an diese Influencerin denken, eine der größten deutschen, die nach Dubai ausgewandert ist. Und wie sie vor ein paar Jahren in ihrer Story bei einem Deutschlandbesuch davon erzählte, wie sie stundenlang durch eine Stadt gefahren sei, um irgendeinen Fotohintergrund zu finden. Und wie alles nur grau und langweilig und trist ausgesehen hätte und wie viel einfacher es in Dubai wäre, Content zu erstellen. Sonne und gebräunte Haut. Pastellfarbene Deko in Einkaufsmalls und Strände voller Lichterketten und Wasserspiele. Happyness 24/7. Ich denke über das Grau nach, das Unansehnliche, das Unspektakuläre. Das, was nichts ist, das nicht zum Beeindrucken taugt. Worauf wirft uns das zurück? Im besten Fall am Ende auf eine Idee. Denn Ideen kommen aus der Langweile. Worauf werfen uns die Bilder der Influencerinnen zurück? Schlanke, durchtrainierte Frauen, die uns erzählen, wie sie ihren Selbstbräuner auftragen und ihr Workout absolvieren, damit wir ihn auch auftragen und nachturnen und aussehen können wie sie. Mehr vom Gleichen. Ich will die Langweile wieder aushalten lernen. Ich will mitten rein in diesen inneren Widerstand im Bauch, die faulen, trägen Arme und schweren Beine, ich will auf dem Boden entlangschlurfen und alles hassen, ich will nichts mit mir anzufangen wissen, denn nur dann werde ich am Ende etwas Wirklichen anzufangen wissen, das über etwas Kaufen oder nach etwas Aussehen hinausgeht.
6. Die Menschen um mich herum machen Urlaubsgeräusche. Die Art, wie sie reden. Ich höre sie auf dem Balkon in der Ferienwohnung unter mir. Eine Frau sagt: „Du brauchst keine Jacke. Ich sitze hier im T-Shirt und es ist nicht kalt“. Eine Katze streift durch den Garten, auf der Einfahrt des Nachbarhofs spielen Kinder Ball. Eltern erklären Dinge mit Engelsgeduld. Der Hahn im Hühnergehege kräht mehrmals am Tag. Sein Rufen ist kein Wecker, der zur Arbeit mahnt. Es ist Zeit. Zeit für Spiel, Zeit zum Sitzen, Zeit, sich zu erklären. Zeit, auf die uns umgebenden, hohen Berge zu schauen, ihre schneebedeckten Wipfel und innezuhalten. Festzustellen, wer wir gerade sind.
7. Die Sonne geht unter, das erste Mal nicht hinter Wolken, mit sichtbar warmem Licht. Die verschneiten Bergspitzen leuchten auf. Gelb, orange, dann rosa. Dann blauweißblau, darüber der Himmel. Ohne eine einzige Wolke. Wie das Meer. Eine glatte, endlose Oberfläche, von hell- bis Dunkelblau. Ruhe. Das Wort fällt mir dabei ein. Nichts drängt in diesem Bild. Die Berge ruhen auf ihrem uralten Gestein, der Schnee auf den Hängen, das Blau über allem. Das letzte Licht reflektiert noch auf den nach Süden ausgerichteten Hängen. Ein erster Stern geht auf. In den meisten Häusern brennt noch kein Licht, sie ducken sich ins Tal, eine Reihe Laternen beleuchtet eine Straße, über die keiner geht. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so wenig Geschwindigkeit gefühlt habe. Die Abwesenheit von Eile. Als ob man die Zeit den Atem anhalten hören könnte.
8. Du kannst nicht schreiben, ohne erlebt zu haben. Und sei es nur der Anblick der Alpen am Abend. Es müssen keine großen, spektakulären Dinge sein. Du musst nur genau hinsehen. Du musst in den schmalen Spalt schlüpfen, zwischen ihnen und dem Lauf der Zeit. Du musst den Moment anhalten und genau hinschauen. Und dann noch genauer. Alles in dich aufnehmen. All das benennen. Das ist alles. Draußen bricht jetzt die Nacht an, alles wird dunkler, fast schwarz. Ich könnte diesen Abend vergessen haben, ich könnte seine Ruhe nicht bemerkt haben und dann wäre der Tag in die Schwärze der Nacht gekippt und niemand hätte davon erzählen können. Aber so wird immer etwas bleiben, so wird der Moment – seine Farben, sein Licht, seine Stimmung – ewig sein und eine Spur hinterlassen, die sich gegen das Vergessen wehrt.
9. Ist nicht alle Kunst ein Versuch, das Leid besser zu ertragen? Uns mit dem Rätsel auszusöhnen, das das Leben uns stellt? Jenny Odell spricht von den „widerspenstigen, unbeschreiblichen Details der Wirklichkeit“. Widerspenstig, das ist das Leben. Es kann nicht ganz verstanden werden, es entzieht sich unserer Kontrolle. Es kann derber, härter, kantiger sein. Es hat Leerstellen. Es scheint Sinnlosigkeit zu beinhalten. Wir können es mit dem Geist nicht bezwingen. Nur leben. Manchmal nur ertragen. Mein Mann schickt mir ein Video, in dem ein Roboter, gespeist von KI, spricht wie ein Mensch. Mit Leerstellen. Mit Ähms und Uhms. Ich lese über die Transhumanisten. Über Posthumanismus. Die Posthumanist*innen glauben, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung sein muss und dass die Deutungsmacht vielleicht eines Tages an eine weiterentwickelte Spezies geht. Sie fürchten die Kontrollübernahme nicht. (Die Textmarkierfunktion auf meinem Rechner funktioniert nicht mehr. Ich kann Absätze nicht mehr löschen. Was macht das mit einem Text?) Ich denke, irgendwann werden die Menschen vielleicht nicht mehr sterblich sein. Aber leben sie dann überhaupt noch? Kann es das Leben ohne den Tod geben? Was, wenn wir unsere Körper beliebig erneuern könnten? Mit dem gleichen Bewusstsein. Mit all unserer Weisheit. Mit all unseren Erfahrungen, allem, was wir gelernt haben? Bei dem Gedanken wird mir komisch. Bei dem Gedanken bekommen Falten und Haarausfall und Schnitte in der Haut eine andere, eine existentiellere Bedeutung. Ich muss an Stadt der Engel denken, den Film, in dem Nicolas Cage sich als Engel in die Hand schneidet, ohne zu bluten. Gehört das Blut zum Leben dazu? Können wir den Schmerz ausradieren? Oder macht er uns erst zu lebenden Wesen?
10. Ich schreibe immer, wenn ich einen Punkt beendet habe, die Zahl des nächsten Punktes der 14 Erkenntnisse in das Dokument. Obwohl ich noch nicht mal einen blassen Schimmer davon habe, was als nächstes kommen wird. Alles, was ich weiß, ist, DASS etwas kommen wird. Zu 100%. Nennt man das Vertrauen?
11. Mein Gehirn spielt mir Streiche. Lässt mich die Welt durch die Brille der Angst sehen. Was, wenn-Gedankenkarusselle. Was, wenn ich nie wieder schmerzfrei und gesund sein werde? Was, wenn die Tabletten nicht helfen? Was, wenn ich es nicht nach Hause schaffe? Nach Hause, das ist Sicherheit. Das verspricht Sicherheit, auch wenn es im Grunde keine Sicherheit gibt. Nichts ist so sicher wie das, nach dem ich mich sehne.
12. Es regnet wieder. Es schneit sogar. An den Hängen der Berge verhaken sich die Wolken. Sie stoßen an ihre Westseite und bleiben an den Bäumen kleben. Den oberen Teil der Gipfel scheint es nicht mehr zu geben. Sie werden umhüllt, grau und fransig. Wie mein Kopf von Angstgedanken. Ich kann die Realität gar nicht mehr sehen. Wie die Bergspitzen sehe ich weder das Tal, noch die Häuser, noch die Autos, noch die Menschen. Wolken aus Angst nehmen mir die Sicht. Alles ist noch da. Darauf muss ich vertrauen. Auch, wenn ich es nicht mehr sehen kann. Inmitten der Angst, die ja aus mir entspringt, einen sicheren Raum finden. Das ist das Ziel, wenn schon die Angst nicht ein für alle mal verschwindet. Wie ein Ausweichzimmer, ein Gästeraum, in dem ein einladendes Bett steht, in dem das Licht einer warmen Lampe brennt. Nur in mir. In mir drin. Ich atme und taste mit nach innen gerichteten Antennen nach der Tür zu diesem Raum. Versuche, zu glauben, dass nicht alles an mir in Gefahr ist, sondern nur Teile und dass der Teil von mir, der gesund ist und stark und heil, dass er groß ist, viel größer, als er sich anfühlt. Vielleicht war er immer schon da und ich habe nur die Tür nicht gefunden? Atmen und in das Vitale in mir hineinatmen. Kein Schmerz am linken Fuß, keiner am rechten. Entspannt atmen. Leichter Hunger. Kein Kopfschmerz, obwohl ich heute schon bitterlich geweint habe. Da sind gute Inseln in meinem Körper, da ist so viel mehr als der Schmerz in meinem Kiefer. Bald wird er weg sein, wie es eine Followerin schrieb, die ähnliches nach ihrer Weisheitszahn-OP durchgemacht hat… Irgendwann ist er nur noch eine neblige Erinnerung. Vage, nicht mehr greifbar. Darüber denke ich viel nach zur Zeit. Dass ich nicht gelernt habe, dass Schmerz vergeht. Dass mich Schmerz immer panisch macht und kopflos. Dass ich kein Ende sehen kann. Dass ich nicht darauf zu vertrauen gelernt habe, dass ich da durchkomme. Meine Flüsse der Angst sind so breit, dass ich das andere Ufer nicht sehen kann. Und wenn man das Ufer nicht sehen kann, dann ist es verständlich, in Panik zu geraten. Die anderen um mich herum sehen es und verstehen meine Panik nicht. Sie sagen: Wate doch einfach hinüber, da drüben ist doch das Ende dieses Zustands, es ist doch fast in Griffweite. Ich muss vertrauen, vertrauen, ohne zu sehen, wahrhaft blindes Vertrauen. Dort wird Ufer sein. Dort wird Sand unter meinen Füßen sein, Sand, und dann, feste Erde.
13. Es ist eigentlich wunderschön, etwas zu haben, auf das man schauen kann, während man schreibt. So etwas wie ein Gebirge. An dem ich mich reiben kann. In dem ich mich spiegeln kann. Dass mich immer wieder herausfordert, es anzusehen. Es zu begreifen. Wie werden mir diese Berge fehlen, wenn ich wieder zuhause bin und aus dem Fenster schaue und das Auf und Ab des Taunus in seinen sanften Hügeln so wenig Abrieb bietet. Aber Zuhause, da ist nicht nur die Abwesenheit der Alpen, da ist auch die Arbeit, da sind all die tausend Gründe, die mich davon abhalten, aus dem Fenster zu schauen, zu schreiben, aus dem Fenster zu schauen und zu schreiben. Immer im Wechsel. Es ist nicht fair, Urlaub und Alltag zu vergleichen. Es könnte der Mount Everest vor meinem Fenster stehen, ich hätte nicht dieselbe Ruhe, ihn zu betrachten. Ich hätte nicht dieselbe Ruhe, um zu schreiben. An der Fensterscheibe, vor dem Grau an Grau der Wolken, sitzt außen eine Fliege und putzt sich ihre Beine. Ihre Flügel sind gestreift wie die eines Zebras.
14. Die Wolken hier sind wie Figuren. Wie Tiere. Nicht nur die Form. Sie bewegen sich wie autarke Entitäten, sie wandern durch den Wald, sie bewegen sich schnell, viel schneller, als ich es aus dem Taunus kenne. Und es ist nicht nur Nebel, der von unten aufsteigt, es sind Wolken, die vom oben kommen und die Erde berühren. Vielleicht sind die Alpen der Ort, an dem die Grenze aufgehoben wird. An dem nicht alles nur ein Sich-Strecken ist, ein Wunsch, zu steigen, sondern an dem sich der Himmel aufmacht und herabsteigt und ebenfalls in einer Bewegung ist, sich zur Erde neigt, ihr entgegen. So sind diese Wolken hier, es sind kleine Stücke Himmel, die über die Erde wandern. Sie streifen durch die Wälder wie eine Horde abenteuerhungriger Jugendlicher, erkunden sie, erobern sie, machen sie sich zu eigen.
14,5: Ich erlebe einige schöne Tage. Sonne, Wärme, schlendernde Tourist*innen. Spontan einkehren und Pommes und Salat bestellen (das Einzige, das mein Darm fast immer sicher toleriert). Spazieren und Mitbringsel kaufen. Ich fühle mich sehr erwachsen. Ich habe das letzte Mal als Kind ein Mitbringsel erworben, eine schwarze Katze aus Porzellan, von meinem Taschengeld, die ich, krank vor Heimweh, auf Klassenfahrt für meine Mutter kaufte. Seitdem hat mein Geld gefühlt für Mitbringsel nie gereicht, für Urlaub erst recht nicht. Jetzt fühle ich mich wie ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, das eine Reise macht und Dinge für die Lieben Zuhause kauft. Wobei das auch nur halb stimmt, denn ohne meinen Mann würde ich überhaupt keinen Urlaub machen. Wir beteiligen uns an der Urlaubskasse nach einem Schlüssel, der sein höheres und mein niedrigeres Einkommen berücksichtigt und ohne sein Auto und seinen Führerschein würde ich gerade auf einer Wiese im Taunus sitzen und nicht im Allgäu. Wir wollen immer bei der Wahrheit bleiben. Ja, die Leichtigkeit des Urlaubs wäre mir allein nicht möglich und das wurmt meine innere Feministin. Aber darauf wollte ich gar nicht heraus. Ich wollte sagen: Die Tage waren leicht, die Tage waren süß, sie glitten ineinander, mehr Wiesen, mehr Blumen, mehr Sonne, sie waren nicht mehr so leicht zu unterscheiden – ist schon Samstag oder ist noch Freitag? Dieses Gefühl wollte ich wieder einmal haben. Hier, inmitten von Wiesen und Bergen und Schnee ist es also zuhause. Bis zu diesem Punkt wollte ich kommen. Dem Punkt, an dem Zeit, an dem der gewohnte Rhythmus, in den wir unser Leben einteilen, Wochentage, Wochenenden, verschwimmt und ich abseits dieser Kategorien einfach da bin.
Was bleibt? Von diesen 14 Tagen? Die Sehnsucht nach der Hütte am Berg. Ich hoffe, wir kommen bald wieder. Aber was vor allem bleibt, ist eine innere Unabhängigkeit – es fällt mir leicht, das Handy in einem anderen Raum liegen zu lassen. Ich lade und nutze es viel seltener als vorher. Manchmal bin ich zwei, drei Tage nicht auf Instagram. Einfach, weil mir nicht danach ist. Und in dieser Zeit spüre ich überhaupt keine FOMO (fear-of-missing-out, die Angst, etwas zu verpassen). Da hat sich etwas abgekoppelt – auf gute Art. Ein Raum, den ich mir in den Bergen erobert habe, existiert weiter in mir. In diesem Raum kann ich vollkommen entspannen. Kann ich im Moment sein, mit Freund*innen oder allein, kann darauf verzichten, alles zu fotografieren, spüre keinen Drang mehr, Nachrichten zu checken. Die Verbindung zu Smartphone und Computer ist nicht mehr so symbiotisch wie vor dem Urlaub. Da ist eine Stimme in mir, die manchmal einfach sagt: Nö. Und ich hüte sie wie einen Schatz.
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Die Sorge, nicht mehr entspannen zu können, kann ich sehr nachvollziehen. Mir fällt es auch schwer, zu Hause zur Ruhe zu kommen. Als ich einen deiner Beiträge vor ein paar Monaten gelesen habe, habe ich mir anschließend auch Öffnungszeiten für meine Social Media Accounts überlegt. Das hilft total. Danke Kea, ich bin ein großer Fan von deiner Arbeit! ❤️
Ich kann meine Urlaube auch selten genießen, lege mir Termine in die eigentlich freie Zeit, die im Alltag nur mit mehr Stress und Aufwand verbunden wären und sorge damit dafür, dass ich dann gar keine freie Zeit zum Abschalten habe. Und wenn doch, dann ist die Welt im Handy näher als die eigene Realität, in der ich so viele schöne Dinge machen könnte - und sei es, einfach nur die Decke anzustarren und die Seele baumeln zu lassen. Dein Text ist ein kleiner Reminder, die zukünftigen Urlaube anders zu gestalten und aus meinem selbst errichteten Hamsterrad auszusteigen, Langeweile zuzulassen und mir einfach eine Pause zu gönnen. Danke für diesen Text und deine persönlichen Einblicke, liebe Kea 🙏🏻