Bücher (nicht) zu Ende lesen
Wieviele Bücher ich pro Jahr so lese - und was sich 2023 daran ändern soll.
Gestern telefonierte ich mit einer Freundin. Und erwähnte in einem Nebensatz, dass ich die meisten Bücher, die ich anfange, nicht zu Ende lese. Dass ich einen Großteil der Bücher in meinem Bücherregal überhaupt noch nicht gelesen habe. Ihre Reaktion war überschwänglich.
Große Erleichterung darüber, dass auch ich – die Schreibmentorin und Autorin – ein Problem damit habe, Bücher zu Ende zu lesen. Offenbar wirkt es nach außen so, als wäre es für mich ein Leichtes, ein Buch nach dem anderen zu verschlingen. Aber dem ist nicht so.
Mein Schreibstudium hat dabei übrigens nur bedingt geholfen. In den Seminaren lesen und besprechen wir oft nur Auszüge aus Büchern. Wenn der Textausschnitt mich anspricht, bestelle ich im Nachgang an ein Seminar manchmal das ganze Buch und lese es später nur zur Hälfte – oder nie. Ich glaube, diese Art oberflächlicher Belesenheit ist verbreiteter als angenommen.
Und sie wirft die Frage auf: Sollte man sich dazu zwingen, Bücher zu Ende zu lesen? Da scheiden sich die Geister.
Hier kommen meine zwei Cents zu dieser Frage:
1. Quäl dich nicht mit Büchern, die dich nicht begeistern. Vielleicht ist es einfach nicht das richtige Buch zur richtigen Zeit. Ich glaube fest daran, dass bestimmte Bücher uns zum perfekten Zeitpunkt finden. Aber manchmal kommt ein Buch zu früh zu uns – und sagt uns gar nichts. Und zwei Jahre später richtig viel. Und andersherum. Bücher, die uns mal begeistert haben, sagen uns beim zweiten Mal viel weniger. All das darf sein. Ich glaube daran, dass Begeisterung der Treibstoff fürs Leben ist. Und dass wir es uns leisten dürfen, das zu lesen, das irgendetwas tief in uns berührt, aufwühlt oder erhebt. Das heißt nicht, dass Lektüre immer seicht und ohne Anspruch sein muss – überhaupt nicht. Das führt mich zum zweiten Punkt:
2. Quäl dich – aber mit Büchern, die dich begeistern. Klingt vielleicht widersprüchlich, ist es aber nicht. Auch ein Buch fertig zu lesen, das ich gut finde, fällt mir manchmal schwer. Die Alternative (meist passive Berieselung durch Netflix usw) ist so verlockend. Ihr zu widerstehen, kostet Kraft. Denn Lesen ist etwas Aktives. Auch für ein gutes Buch muss ich Konzentrationsfähigkeit mitbringen. Sonst lese ich drei Seiten, ohne ein einziges Wort aufzunehmen. Der Griff zum Buch braucht deshalb manchmal Disziplin – auch wenn es ein gutes Buch ist. Natürlich gibt es auch Momente, in denen selbst die Lektüre guter Bücher zu fordernd ist und in denen es wirklich mal Binge Watching irgendeiner Serie sein muss. Diesen feinen Grat zu erwischen zwischen “hier fordere ich mich” und “hier überfordere ich mich, obwohl ich eigentlich gerade eine Pause benötige” – das wird ein lebenslanger Übungsprozess bleiben.
In diesem Januar habe ich bisher 3 Romane zu Ende gelesen. Das ist mehr als ich in manchen Jahren meines Lebens geschafft habe. (Die Romane: Judith Hermann: Daheim, Margaret Laurence: Eine Laune Gottes, Berit Glanz: Pixeltänzer).
Geschafft habe ich das vor allem aufgrund dieser beiden Punkte:
Für 2023 habe ich mir folgendes Mantra gesetzt: “Schließe Dinge ab”. Gute Dinge. Dinge, von denen ich denke, dass sie sich lohnen. Nicht sinnlose Dinge, die ich nur mache, weil es schick ist oder andere es auch machen. Aber die, die ich wirklich will – die versuche ich, in diesem Jahr mir zuliebe zu erfahren. Die ganze Erfahrung. Nicht nur die ersten Kilometer. Nicht bloß den Zeh ins Wasser halten. Sondern eintauchen. Auch mal etwas aushalten. Eine Durststrecke überwinden. Ich glaube, das Internet gewöhnt uns diese Fähigkeit immer mehr ab. Und ich halte das nicht für eine Verbesserung. Es ist nicht schlimm, viele Dinge nicht zu beenden. Ich breche täglich Dinge ab: Gedanken, E-Mail-Entwürfe, Vorhaben. Aber die wichtigen Dinge, denen die Stange zu halten, das ist ein Einsatz von Energie, der sich in meinen Augen immer lohnt.
Dass ich mehr Bücher lese, ist nicht nur einer erhöhten Disziplin zu verdanken. Sondern vor allem einer großen Veränderung in meinem Alltag: Der Einführung von Öffnungszeiten für Instagram. Über die Rauhnächte habe ich damit begonnen, mit feste Zeiten zu setzen, in denen ich die App benutzen darf: Und zwar nur von Montag bis Freitag zwischen 14 und 19 Uhr (natürlich nicht ununterbrochen). Am Wochenende gar nicht. Auch ins Schlafzimmer kommt das Smartphone nicht mehr mit. Et voilà – die Zeit zum Lesen ist plötzlich da. Ganz mühelos. Ich bin überzeugt, dass ich mein Vorhaben, wieder mehr zu lesen, nur deshalb bisher erfolgreich umsetzen konnte. Weil mein Kopf nicht mehr permanent von zu vielen Informationen, Bilder und Texten lahmgelegt wird.
Wenn du möchtest, erzählt mir gern davon, wie es dir mit Büchern geht: Liest du immer bis zum Ende? Oder brichst du die Lektüre ab? Und wie oft? Und hast du gefühlt genug Zeit zum Lesen?
Das mit Instagram kann ich nur bestätigen. Seit Anfang Dezember 2022 habe ich die App komplett deaktiviert und nach der ersten Phase fomo ging es mir immer besser ohne die zumeist sinnbefreite Ablenkung. Ich habe im letzten Jahr nach 10 Jahren endlich wieder zum Lesen zurückgefunden und ohne Instagram dieses Jahr auch schon deutlich mehr Bücher verschlungen als noch Anfang letzten Jahres.
Auch wenn ich mich grad erst etwas durch ein mäßiges Buch gequält habe, konnte ich trotzdem was aus der "Geschichte" mitnehmen. Bisher habe ich eigentlich alle begonnenen Bücher auch beendet. Ich kann jedoch nicht mehrere Bücher gleichzeitig lesen, weshalb ich das angefangene beenden "muss", damit ich mich auf eine neue Geschichte mit neuen Figuren einlassen kann.
Zum Jahresanfang habe ich mir ein kleines, digitales Lesetagebuch angelegt, um Ende 2023 einen Überblick zu haben, wie viele Bücher ich geschafft habe und wie sie mir gefielen. Das motiviert mich, die Liste gut gefüllt zu bekommen und mir somit auch ausreichend Zeit für mein liebstes neues altes Hobby zu nehmen 😊
In meiner Ausbildung zur Buchhändlerin habe ich das Abbrechen schnell gelernt. Ich konnte es mir nicht leisten, ewig an einem Buch herum zu lesen, musste ja so viele kennen, um beraten zu können. Das war hart und letztlich gut. Denn seitdem fällt es mir sehr leicht. Das Buch berührt nichts in mir, die Figur interessiert mich nicht? Ok, weg damit. Oder zurück ins Regal und es darf auf eine zweite Chance warten. 😊 Die Frage ist ja auch: Schulde ich denn jemandem dieses Buch zu Ende zu lesen? Nein, es sind meine Lebenszeit und meine Lesefreude.