Ich kam in letzter Zeit vermehrt in den Genuss, Texte junger Autorinnen zu lesen. Das Sternchen fehlt beim Wort „Autorinnen“ dieses Mal ganz bewusst, weil ich über junge Frauen sprechen möchte, die sich diesem Geschlecht zugehörig fühlen und die als Frauen im Patriarchat sozialisiert wurden.
Ich rechnete damit, vor allem Texte über Liebe zu finden und so war es auch. Meistens unerfüllte Liebe oder zumindest so schwierig, dass sie in einer App den Beziehungsstatus „Es ist kompliziert“ verdienen würde.
Oft beschäftigen sie sich auch mit dem eigenen Körper. Körper, Essen, Lust, Begehren. Aber vor allem betrachtet werden. Begehrt werden. Gewählt werden. Wenig expansive Bewegungen, wenig Eroberung, dafür umso mehr das Kreisen um ein Ich, das permanent dem male gaze ausgesetzt ist, dem männlichen Blick und den männlichen Erwartungen. Genügen wollen. Genug sein. Oft bedeutet das im Umkehrschluss: Weniger essen. Ich lese viel von Essstörungen, von verzerrter Körperwahrnehmung, von Autoaggression. Und auch das wundert mich nicht, ich war auch einmal dieses Mädchen zwischen 20 und 25, das immer weniger wurde.
Die Männer sind das Zentrum, sie stehen oft sehr fest auf dem Boden dieser Erzählungen, sie haben irgendwo ihren Anker geworfen. Aber dieser Anker liegt in einem fremden Wasser und sie bleiben für die jungen Frauen trotzdem unerreichbar, ungreifbar, huschen nur vorüber. Und statt dass sie sich abwenden und ihren eigenen Weg weitergehen, bleiben die Frauen stehen, betrachten sich selbst und suchen die Gründe für die Flüchtigkeit von Gefühlen bei sich. Warum? Warum ist er so automatisiert, so geübt, der Blick auf die vermeintliche eigene Unzulänglichkeit? Warum kehrt sich der Schmerz so selten nach außen, in Wut, in Trotz? Warum richtet er sich in so vielen Fällen gegen sich selbst?
Wenn ich vor diesen Texten sitze, die voll Poesie und Zartheit, aber auch so voll von Schmerz und Desorientiertheit sind, dann frage ich mich unwillkürlich: Was haben wir mit dem Feminismus eigentlich erreicht?
Natürlich ist die Jugend auch eine Zeit, in der man sich selbst suchen und finden muss, in der ein gewisses Maß an Verwirrung dazugehört. Aber dieses epidemische Ausmaß, mit dem die jungen Frauen leiden, bedrückt und berührt mich. Wie sie so oft den vermeintlichen Ausweg im Verschwinden suchen. Wie viel Kraft, wie viel Lebensenergie und wie viele Ideen gehen uns verloren, weil wir die Frauen in der vom Patriarchat geprägten Gesellschaft erst einmal durch diese Phase des Verzagens schicken.
Wir können (notwendige) Quoten erlassen, so viele wir wollen – bis sich am Selbstbild der Frauen, an ihrem kollektiven Selbstwertgefühl etwas ändert, wird noch viel Zeit vergehen. Der unabhängige Mann und die leidende, an sich zweifelnde Frau ist eine sehr alte Mär, die immer noch zu oft erzählt und gelebt wird.
Ich schreibe in die Notizfunktion meines Handys:
Wer werden sie sein,
in welche Räume treten,
wenn die Jahre von den Dächern fallen?
Sind wir energisch genug vorangegangen,
unerschrocken genug? Wohl nicht.
Oder warum verirren sie sich zu Tausenden
in ihren Spiegelbildern, zählen Rippen,
bieten Herzen zum Brechen an
und finden ihre Tage im Versuch wieder
die Versehrtheit zu bewältigen,
zu der die Welt sie ermutigt hat?
Selbst gestalten, entwerfen,
niemand brachte es ihnen bei
sie stecken fest im Morast des Klein-Klein,
der Rolle, der wir seit Generationen
anheim gegeben wurden, von dem anderen, dem Großen.
Leben im Passiv und im Gefühl, es würde etwas bedeuten.
So ein schöner Text, wenn auch traurig. Vielleicht sind wir jetzt in einer Phase, in der wir immerhin benennen können, was los ist, sodass zum Beispiel der male gaze einen Namen hat. Und vielleicht kommt nach dem Benennen, nach dem Anschauen von allen Seiten, das Überwinden.