Heute verbrachte ich meinen Vormittag damit, die Notizbücher für die Teilnehmer*innen meines nächsten Schreibkurses in rosafarbenes und weißes Seidenpapier einzuschlagen. Während ich dieser Tätigkeit nachging, das Knistern des Papiers, die Glätte seiner Oberfläche genoss, hing ich in Gedanken noch fest an dem Roman, den ich heute Morgen zu Ende gelesen habe.
Es ist nicht normal, dass ich einen Roman zu Ende lese. Ich habe im letzten Jahr viel zu wenig gelesen. Obwohl ich weiß, dass das Lesen für mich als Autorin mit die wichtigste Arbeit ist. In diesem Jahr soll das anders werden. Das Buch, das ich beendete, war „Pixeltänzer“ von Berit Glanz. Es erzählt eine Geschichte in der Gegenwart, in der es viel um Technik, Apps und die Start-Up-Kultur geht und dieser Teil des Romans schlidderte etwas an mir vorbei – aber es erzählt auch eine Binnengeschichte, die Lebensgeschichte von Lavinia und Walter Holdt. Die tragische Geschichte eines Künstler-Ehepaars in den frühen 20-iger Jahren. Lavinia Schulz und Walter Holdt entwerfen avantgardistische Ganzkörpermasken, die sie durch expressionistischen Ausdruckstanz ihrem begeisterten Publikum vorführen. In ihrer Kunst aber sind sie kompromisslos – sie weigern sich, Geld für ihre Aufführungen zu verlangen. Lavinia Holdt sagt: „Man kann Geistiges nicht für Geld verkaufen. Geist und Geld sind zwei feindliche Pole, und wenn man Geistiges für Geld verkauft, so hat man den Geist an das Geld verkauft und hat den Geist verloren.“
Jahrelang kämpft das Paar, das einen gemeinsamen Sohn hat, mit Hunger und Kälte in ihrer Souterrainwohnung in Hamburg. Am Ende erschießt Lavinia zuerst ihren Ehemann und dann sich selbst. (Hörenswertes Feature im Deutschlandfunk über das Paar)
Bedrückend, das zu lesen. Sich von dieser Verzweiflung nicht berühren zu lassen, beinahe unmöglich. Aber auch diese Unbedingtheit, mit der die beiden ihre Kunst gelebt haben, geht mir unter die Haut. Auf eine Weise, die mir vertraut ist. In vielen Biografien von Künstler*innen, deren Werk ich bewundere, ist von Lebensphasen die Rede, in denen sie sprichwörtlich am Hungertuch genagt haben. Patti Smith zum Beispiel, die mit kaum mehr Geld als dem für die Fahrtkarte in das New York der 60-iger Jahre fuhr, um dort Künstlerin zu werden. Die sich oft nicht wusste, wo das nächste Mittagessen herkommen sollte und in der ersten Zeit in Hauseingängen und U-Bahn-Wagen schlief.
Hungern für den Traum, Kunst machen zu können – so radikal habe ich es nie betrieben. Ich bin durchaus bereit, Abstriche zu machen und auf viele Dinge zu verzichten, die für die meisten Gleichaltigen in meinem Bekanntenkreis selbstverständlich sind. Ein Führerschein, Urlaub, teure Klamotten. Aber hungern? So weit ging es bei mir nie.
Ich sehe es auch nicht grundsätzlich so schwarzweiß wie Lavinia, dass man Geistiges nicht für Geld verkaufen kann. Ich denke schon, dass das möglich ist. Aber schwer wird es eigentlich ab dem Punkt, an dem man etwas produziert, um es dann zu verkaufen. Sobald diese Absicht der künstlerischen Arbeit anhaftet, hängt der Markt und seine Gesetze wie ein Gewicht an den eigenen Händen. Man ist nicht mehr gänzlich frei in seinem Ausdruck. Kann es nicht sein, weil man die Markttauglichkeit seiner Kunst immer mitdenken muss.
Selbst dieser winzige Substack-Blog ist ein Beispiel dafür, dass Geldverdienen und Kunstmachen zwei Dinge sind, die sich schwer vereinbaren lassen. Denn warum veröffentliche ich diese Gedanken hier?
Weil ich mein Geld verdienen muss. Weil es viel schwieriger ist, auf meiner Website ehrliche Texte zu veröffentlichen als hier, in diesem digitalen Hinterhof, den ich mir geschaffen habe. Weil es in der Gesellschaft, in dem kapitalistischen System, in dem wir leben, gewisse Marker gibt, die wir uns ans Revers heften müssen, wenn wir bestehen wollen.
Ein Marker davon ist Erfolg. Wer etwas geschafft hat, der hat sich bewiesen. Dem kann man vertrauen. In meiner Arbeit als Schreibmentorin betone ich also zum Beispiel meine erfolgreiche Buchveröffentlichung. Erzähle vom Interesse, das ein Verlag für mein neues Romanprojekt bekundet. Inszeniere mich als starke, strahlende Frau, die andere mit ihrem kreativen Spirit anstecken kann.
Ich bin natürlich auch diese Frau. Nichts davon ist gelogen. Aber gleichzeitig bin ich auch eine Künstlerin, die zu viel Zeit damit verbringt, das notwendige Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen und zu wenig Zeit damit, ihre eigene Kunst zu verfolgen.
Auch darüber habe ich einige Blogartikel geschrieben – die ich auf meiner Website nie veröffentlicht habe. Mir fehlte der Mumm.
Denn ich will nicht hungern für meine Kunst. Auch wenn ich mich manchmal frage, ob man das muss. Hätten wir die Texte, die Musik von Patti Smith, wenn sie nicht bereit gewesen wäre, auf sehr viel Sicherheit zu verzichten? Hätte sie dann einen einträglicheren Beruf ergriffen und wir hätten nie von ihr gehört?
Ich denke, es ist und bleibt immer ein Spagat – das Austarieren von Zeit und Geld, von Kunst und Broterwerb. Und ich will das gar nicht als Jammern verstanden wissen, als permanentes Lamentieren. Ich will eigentlich, ganz im Gegenteil, sagen: Wie verwunderlich, dass wir etwas, mit dem wir Zeit unseres Lebens ringen, wenn wir nicht gerade ein Vermögen geerbt haben, doch nicht loslassen. Sondern uns in zärtlich-schmerzhafter Umarmung daran klammern und nicht einmal daran denken, es aufzugeben. Egal, wie fern es scheinen mag oder wie sehr uns die Notwendigkeit des Broterwerbs an andere Aufgaben bindet – die Anziehungskraft der Kunst bleibt in uns ungebrochen. Wir akzeptieren diesen stillen Schmerz, der damit einhergeht und tragen ihn wie eine Zierde mit uns herum.
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