Zwei Wochen ist es her, dass ich an einem warmen Sommerabend durch die Straßen von Königstein lief – leicht außer Atem, da ich spät dran war – auf dem Weg zur hiesigen Bibliothek. Die Bücherei in Königstein ist ein echter Dinosaurier. Sie sieht so aus, wie ich die Bibliotheken meiner Kindheit in Erinnerung habe. Schaufenster mit Kinderbasteleien, ein Mobiliar, das stilistisch irgendwo zwischen 1999 und 2005 stehengeblieben ist und ein Lesezimmer mit Orientteppich, dunklen Holzregalen bis zur Decke und einem großen Ficus. Dafür aber auch Mitarbeiter*innen, die ihre Besucher*innen mit Namen kennen und keine Zeit oder Mühe scheuen, um zu beraten oder Wunschbücher zu bestellen. Auf der Fassade prangt noch eine Erinnerung an die alte Nutzung des Gebäudes als Kaufhaus. Nicht zu vergleichen mit der architektonisch eindrucksvollen Bücherei in Berlin Tegel, in der ich 2021 große Teile meines ersten Buches geschrieben habe. Aber ich mag das. Ich mag den Charme der 90-er und ich mag es, dass diese Bücherei eben gar nicht erst versucht, cool oder instagramable zu sein.
An besagtem Sommerabend war ich auf dem Weg zu einer Veranstaltung, die per papiernem Aushang im Fenster angekündigt worden war: Ein Vortrag über die Gruppe 47. Die Gruppe 47 war ein Phänomen der deutschen Nachkriegsliteraturlandschaft. Auf Einladung des Schriftstellers Hans Werner Richter trafen sich zwischen 1947 und 1967, meist halbjährlich, deutschsprachige Autor*innen, um sich gegenseitig Texte vorzulesen und Feedback & Kritik von Kolleg*innen zu erhalten. Die Treffen sollten junge, noch unbekannte Autor*innen fördern und einen Beitrag zur Erneuerung der deutschen Literatur nach dem zweiten Weltkrieg liefern.
Die Gruppe 47 hat schon immer mein Interesse geweckt und da eine kleine Stadt wie Königstein ein überschaubares Kulturangebot hat, wollte ich die Gelegenheit unbedingt wahrnehmen, den Vortrag zu hören. Im Vorfeld ahnte ich bereits, was dann auch eintrat: Ich senkte das Durchschnittsalter im Raum erheblich. Mit der Ausnahme von einigen Lesungen in Berlin ist das auf vielen Literaturveranstaltungen so gewesen, die ich in meinem Leben besucht habe. Vielleicht ist das Leben zwischen 20 und 50 einfach zu hektisch und der Kalender zu voll, vielleicht sind Clubs und Kinos attraktiver oder digital natives lesen keine Aushänge mehr – und ich habe persönlich auch gar nichts dagegen, meinen Abend mit Menschen jenseits der Lebensmitte zu verbringen. Aber ich frage mich manchmal schon, wie es eigentlich kommt, dass Literatur oft ein eher älteres Publikum anzieht.
Unabhängig von dieser Frage habe ich den Ausführungen des Redners über die Gruppe 47 gerne gelauscht. Waren die Schriftsteller*innen in der Gruppe anfangs noch unter sich, kamen nach und nach auch Kritiker*innen, Journalist*innen und Vertreter*innen von Verlagen hinzu, so dass die Gruppentreffen zu einem Spektakel und einer Institution des Literaturbetriebs wurden, die die Debatten der Zeit maßgeblich prägte und bestimmte.
Mich faszinieren aber eher die Anfänge der Gruppe – ich mag das schlichte Konzept: Eine Gruppe Schreibender trifft sich. Man teilt eigene Texte und erhält das Feedback der anderen, um das eigene künstlerische Können weiterzuentwickeln. Nach einer solchen Gruppe habe ich mich immer wieder gesehnt. Nicht nach dem großen Zirkus drumherum, sondern nach der intensiven Arbeit und Auseinandersetzung mit schreibenden Kolleg*innen.
Natürlich ist ein solcher Austausch auch fester Bestandteil meines Schreibstudiums in Hildesheim. Aber die Zeit am Campus hat naturgemäß ein Ablaufdatum. Irgendwann werde ich nicht mehr an der Domäne studieren – und was dann?
Mit dem Schritt zu Substack, den ich Anfang des Jahres gemacht habe, rückte die Vision einer Schreibgruppe in diesem Frühjahr in greifbare Nähe. Ich entdeckte, dass auch einige meiner Kommiliton*innen mit der Plattform liebäugelten und fand über die Notes-Funktion weitere Autor*innen, die hier ihre Gedanken und Texte teilen.
Und so entstand in den letzten Wochen im Hintergrund unser neues Writer-Kollektiv. Einige “konstituierende Sitzungen” später werden wir nun sichtbar:
Das einWortKollektiv. Es besteht aus sechs Autor*innen, die sich alle zwei Monate von einem gemeinschaftlich bestimmten Wort inspirieren lassen. Per Zufallsverfahren kommen in jeder Ausgabe je 3 Paare aus je 2 Autor*innen zusammen, die gegenseitig die entstandenen Texte lesen und lektorieren. Die fertigen Versionen der Beiträge veröffentlichen wir auf Substack.
Der Begriff, dem wir uns in der ersten Ausgabe widmen, lautet: „Vergessen“.
Zum Thema “Vergessen” sind bereits der der Text von Vivian Sper und der Text von Oliwia Hälterlein erschienen.
Die Beiträge von Franziska König, Antoni Partheil und Sofia B sowie mein Beitrag erscheinen in den kommenden Wochen.
Ich bin vorfreudig aufgeregt auf das gemeinsame literarische Projekt und genieße den Rückhalt und den Austausch unter Kolleg*innen. Denn Schreiben tut man meistens zwar allein, aber die Tätigkeit der Schriftstellerei muss deshalb keine einsame sein.
Das ist auch an dich meine dringende Empfehlung, wenn du gerne schreibst: Vernetze dich mit Gleichgesinnten. Auf meinem InstagramProfil findest du übrigens eine Kontaktbörse für Schreibende, die genau diesen Zweck dient: Dort haben bereits zahlreiche Schreibende gepostet, die Lust haben, sich mit anderen zu verbinden. Wer weiß, vielleicht entdeckst du dort Autor*innen aus deiner Umgebung oder einfach Menschen, mit denen du dich digital zusammentust?
Der Vorteil des Gemeinsamschreibens? Wenn du eine Blockade oder ein Motivationstief hast, ziehen dich die anderen mit. Die Gruppe hat eine Kraft, die man ganz allein am Schreibtisch kaum dauerhaft aufrechterhalten kann. Wenn du nicht schreibst, schreiben sie. Und wenn sie schreiben, schreibst du. Irgendwer schreibt jedenfalls immer :D Und erinnert damit die anderen daran, das zu tun, was sie eigentlich am liebsten tun – Worte so zusammensetzen, dass sie am Ende mehr sind als die Summe der Buchstaben allein.
Danke für deine Initiative und den schönen Text über kollektives Schreiben❤️ Ich war beim Lesen der Ankündigung ganz aufgeregt, obwohl ich ja schon Bescheid wusste😝 Die Vorfreude ist groß!
Ah, so schön zusammengefasst warum gemeinsam schreiben so toll ist. Danke, Kea für die Initiative!
Und ich komme gerade ebenfalls aus einer Bibliothek, die in den 90ern kleben geblieben ist. Um das Internet zu nutzen, muss man sich am Empfang einen Code abholen❤️ wenn das nicht Entschleunigung ist!