Chronische Erkrankungen und Partnerschaft – 3 Gedanken
Wenn psychische und/oder körperliche Erkrankungen die Beziehung prägen
Ein paar Gedanken. Über Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf die Partnerschaft. Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Sondern nur Ausdruck meiner aktuellen Gedanken und Gefühle dazu:
1) Meine Partner*in muss nicht der Mensch sein, der mich am besten versteht
Erst in diesem Winter habe ich von einem Wunsch, oder besser, einer Idealvorstellung Abschied genommen. Der Vorstellung, dass mein Partner der Mensch ist, der mich in meinen dunkleren Stunden am besten versteht. Natürlich kann mein Partner mich umsorgen, liebevoll sein, trösten. Aber er wird nie die 100% treffenden Worte finden, die Menschen finden, die selbst von denselben Erkrankungen betroffen sind. Er wird nie intuitiv wissen, was am besten hilft, wenn gerade eine Panikattacke durch den Körper rockt oder meine Menstruation mich ausknockt.
Mein Partner kennt Angstzustände und Borderline-Krisen (zum Glück) nicht aus eigener Erfahrung. Endometriose, Reizdarm und Migräne ebenso wenig. Es ist ein bisschen wie mit Fremdsprachen. Man kann Mandarin lernen – die Grammatik, die Vokabeln. Aber man wird nie ein native speaker sein. Es wird immer etwas Angelerntes sein und manchmal haut man auch nach jahrelanger Übung daneben. Zu akzeptieren, dass ich im worst case besser eine Freundin anrufe und dort genau die Worte zu hören bekomme, die mir am meisten Halt geben, das war und ist nicht leicht für mich.
Dabei glaube ich nicht, dass ein Partner alle Bedürfnisse erfüllen können soll – auch bei allen anderen Themen nicht, die gar nichts mit Gesundheit oder Krankheit zu tun haben. Unsere Partner*innen sind keine Kopien von uns, sie haben eigene Wünsche, Bedürfnisse, Träume. Was wir nicht teilen, müssen sie dann eben mit anderen zusammen erleben, mit Freund*innen oder Familie. Was sich bei Sachen wir Urlaub und Freizeitgestaltung noch relativ leicht anfühlen kann (natürlich auch nicht muss), wird im Bereich von Erkrankungen schwerer. Weil es immer die Momente trifft, in denen es einem am schlechtesten geht, in denen man am verletzlichsten ist.
Deshalb war es für mich so schwer, einzusehen: Wenn ich auf dem Zahnfleisch gehe, ist mein Partner nicht der Mensch, der mich am besten versteht. Das ist nicht seine oder meine Schuld. Das ist einfach nur das Produkt unserer Erfahrungen. Vor meiner ersten Panikattacke habe ich mir auch nicht vorstellen können, wie sich so etwas anfühlt.
Wir können also weiter Vokabeln üben und das wäre auch immer meine Empfehlung: Sprecht miteinander. Erklärt euch. Beschreibt, wie es euch geht, damit der andere eine Chance hat, zu verstehen, was in euch vorgeht. Auch konkrete Handlungsvorschläge zu machen hat sich bei uns als hilfreich erwiesen. Das verhindert, dass mein Mann zu oft mit Gefühlen von Hilflosigkeit konfrontiert wird. Dabei versuche ich, so konkret wie möglich zu sein, also zu sagen: „Wenn es mir schlecht geht, dann hilft es mir total, wenn du mir die Füße massierst/einen Tee kochst/die Katzenfütterung übernimmst usw.“
Am besten erarbeitet man diese Vorschläge in einem ruhigen Moment und nicht inmitten der Krise, Schmerz- oder Angstattacke. Wenn ich starke Schmerzen habe oder mitten in einer Panikattacke stecke, kann ich leider auch manchmal ziemlich patzig werden – das liegt einfach daran, dass ich in diesen Augenblicken unter so gewaltigem Druck stehe, dass ich nicht die Nerven habe, etwas lange zu erklären. Meine körperlichen Beschwerden plus meine hohe Neigung zu Angstzuständen sind oft eine explosive Mischung, die es mir schwer macht, durch den Alltag zu navigieren. Deshalb sind Vorab-Absprachen so hilfreich. Trotzdem passiert es natürlich hin und wieder, dass ich in der akuten Krise Dinge sage oder einen Tonfall anschlage, der nicht in Ordnung ist. Mich hinterher dafür zu entschuldigen radiert das nicht aus, zeigt meinem Mann aber, dass mir bewusst ist, dass ich dieses Verhalten ihm gegenüber selber nicht cool finde und ihn nicht verletzen möchte.
2) Die Sache mit der Wut und den Grenzen
Angehörige von Menschen mit Erkrankungen sind oft sehr belastet. Für Betroffene ist das manchmal schwer zu verstehen. Auch mir fällt es nicht immer leicht, Verständnis dafür zu zeigen. Besonders, wenn es mir akut schlecht geht. Dann denke ich durchaus mal: “Verdammt, ER hat doch hier nicht das Problem! Ihm geht es doch gut.”
Ich verurteile diese Gedanken nicht. Sie dürfen genauso da sein wie die Grenzen und der Frust oder die Wut der Angehörigen (Wut auf die Krankheit, nicht die Erkrankten, huge difference). Natürlich haben unsere Angehörigen einen großen Vorteil – sie sind gesund oder gesünder, sie kennen diese Einschränkungen nicht, die unsere seelischen oder körperlichen Erkrankungen mit sich bringen. Und trotzdem leben sie ja einen Teil davon mit uns mit. Sie müssen nicht die Symptome durchleben, die wir erleiden, aber sie spüren die Einschnitte im Alltag trotzdem deutlich.
Mein Mann muss regelmäßig plötzlich seinen Tag umplanen, mit dem Auto rechts ranfahren, geduldig darauf warten, dass ich mich doch noch aus dem Haus traue oder auf Familienfesten und Treffen mit Freund*innen ohne mich erscheinen. Er ist von meinen Erkrankungen auch betroffen.
Gleichzeitig ist es schwer für ihn, Grenzen zu setzen. Wenn man einen Menschen neben sich hat, der offensichtlich leidet, fällt es nicht so leicht, zu sagen: „Hey, ich kann gerade auch nicht mehr.“ Sich Zeit und Raum für sich zu nehmen, obwohl der andere gerade hilfebedürftig ist, kann ein schlechtes Gewissen machen. Und auch für mich ist das nicht so easy – ich weiß, dass diese Auszeiten wichtig für meinen Partner sind. Und ich versuche, die Last auf mehrere Schultern zu verteilen und eben auch Freund*innen und Familie mit einzubeziehen. Aber wahnsinnig viel, die Hauptlast, trägt mein Mann. Und trotzdem muss ich da auch immer etwas in mir niederringen, wenn ich ihm sage, dass er etwas für sich tun soll. Weil ich ihn natürlich gerne bei mir habe, wenn es mir nicht gut geht. Mein Kopf überstimmt dann mein eigenes Bedürfnis nach Trost und Unterstützung, das ich anderweitig erfüllen muss. Und manchmal gelingt mir das nicht. Dann bin ich ungerecht und kann ihn nicht leichten Herzens ziehen lassen, werde traurig, fange an, zu weinen. Mache es ihm damit natürlich noch schwerer, auch wenn ich das überhaupt nicht will. Er verdient alles Gute der Welt, soll sein Leben genießen. Solche Situationen sind nicht schön – es sind zwei Menschen, die es eigentlich so gut miteinander meinen und die doch an ihre Grenzen kommen. Wir arbeiten daran, mit diesen Momenten besser umgehen zu lernen.
3) Wärst du nicht besser dran ohne mich? Die Sache mit dem schlechten Gewissen
Mein Mann hat manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn er ohne mich wegfährt und ich mit Schmerzen Zuhause bleibe. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn in dieses Leben voller Medikamente, Arztbesuche und Leid mit hineinziehe.
Es gab und gibt Zeiten, in denen ich denke, wir schaffen es nicht. In denen ich denke oder sage: „Such dir doch eine gesunde Frau.“
Reicht es nicht, dass mein Leben versaut ist? Beschnitten, begrenzt, verstümmelt? Muss ich seins noch mit in den Abgrund ziehen? Raube ich ihm, der so gesund ist, nicht alle Möglichkeiten?
Das sind die schlechten Tage, an denen ich das denke. An denen ich auch manchmal das Gefühl habe, dass es besser wäre, allein zu sein, statt noch jemanden mit meinen Erkrankungen zu belasten. Dann müsste ich auch das schlechte Gewissen nicht aushalten, die Enttäuschung nicht in dem Gesicht meines Mannes sehen, wenn ich wieder einmal sage: „Fahr ohne mich los.“
All das sind Seiten des Lebens mit chronischen Erkrankungen. Sie existieren.
In zu vielen Artikeln zu diesem Thema heißt es: Die Erkrankung hat auch positive Seiten für eine Beziehung. Vielleicht erzeugt sie sogar mehr Intimität, Bindung, Vertrauen. Sensibilität. Ja, alles Ja. Tut sie. Aber das macht den riesengroßen Berg aus Scheiße nicht kleiner, der eben genau so daneben steht und vor sich hin dünstet.
Je älter ich werde, umso mehr fühle ich: Mein Schreiben und Wirken soll dazu da sein, auszusprechen, was IST. Ich will es nicht verniedlichen, kein sugarcoating darüberschütten, damit es bekömmlicher ist.
Partnerschaft und chronische Erkrankungen, das IST in Teilen unbekömmlich. Furchtbar schmerzhaft. Voller Enttäuschungen, Wut, Unverständnis. Tränen.
Wir versuchen es dennoch. Das ist der Moment, in dem die Liebe spürbar wird. Die Liebe macht, dass wir uns trotzdem wieder jeden Tag in diesen Sturm stellen. Ich hoffe, wir halten den Sturmböen stand. Sicher wissen kann ich es nicht. Aber es nicht wenigstens versucht zu haben, wäre ein noch schlimmeres Gefühl.
PS: Weil Nachfragen kommen – Auszüge aus meinen Substack-Posts darfst du gerne per Screenshot, zum Beispiel auf Instagram, teilen. Wenn dich etwas inspiriert und du es teilen möchtest, ist das doch das schönste Kompliment für meine Arbeit. Ich freue mich immer wie ein Keks, wenn du mich taggst und ich sehe, dass die Hinterhofgedanken weitergetragen werden.
Ich wünsche dir und euch alles Gute dieser Welt und dass ihr den Sturmböen standhalten werdet!
Wiedermal ein wunderbarer Text von Dir! Einfach nur die WAHRHEIT, die verdammte Wahrheit. Viel Kraft, Mut und "nicht aufgeben" Euch!!!